Die Macht der Phrase

Was ist so mächtig wie die Phrase?
Sie flattert üppig durch die Welt,
Sie reicht aus unerschöpfter Vase
Der baren Thorheit falsches Geld.

Ergehn nicht überall Ukase
Von hoh' und niedern Stühlen aus,
Und hängt nicht eine schöne Phrase
Sogar die Liebe selbst heraus?

Vergebens klingelt dort am Glase
Der Präsident vor seinem Pult;
Man murrt, man tobt, man will die Phrase,
Es ist ein höllischer Tumult.

Die ungeheure Seifenblase,
Sie kommt, man folgt ihr athemlos,
In kaum verhaltner Extase;
Sie platzt - jetzt geht der Jubel los.

Oft plärrt mit hochgetragner Nase
Ein Kanzellicht das große Wort,
Und nichts ist dran, als daß er Phrase
Auf Phrase häuft in einem fort.

Die Köchin und die alte Base
Die freilich sind entzückt davon,
Und weh dem, der sich an der Phrase
Versündigt je mit frechem Hohn.

Nein, Dichter! wüthe nicht und rase,
Wenn deinem sinnigen Gedicht
Mit einer abgedroschnen Phrase
Der Kritiker ein Urtheil spricht.

Schon abgehetzter als ein Hase
Wird vorgeführt vom Kritik-Amt
Noch als Paradepferd die Phrase,
Und drauf gehuldigt und verdammt.

Ouackt eines Dramas Held im Grase,
Und ist ein Lump nur oder dumm,
Legt in den Mund ihm eine Phrase,
Und Beifall klascht das Publikum.

Es fehlt uns, ach, ein zweiter Dase,
Um auszurechnen, wie vielmal
Die tausendfach verbrauchte Phrase
Noch wiederkehrt, o welche Zahl!...

Am Schluß hier meiner Parabase
Hört noch, wovor in Angst geräth,
Wovor sogleich verstummt die Phrase:
Es ist - ist - die Autorität.

Sprich große Namen mit Emphase,
Ruf ein berühmtes Schlagwort aus,
Und Ehrfurcht packt die arme Phrase,
Sie schleicht bestürzt, beschämt nach Haus.

Ja, sie erlischt wie andere Gase. -
Ein Hoch dem Geist, der sie verlacht,
Und jeder "unfehlbaren" Phrase
Den Garaus ohne Phrase macht.


  Hermann von Lingg . 1820 - 1905

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