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Hermann von Lingg
Schlußsteine
. 1. Auflage 1878
Fahrt des Lebens
Auf wilder Strömung, eingeschlossen
Von dunklen Felsen, kam ein Boot
Die Wellen hergeschossen,
Von Klippen überall bedroht;
Ein Wunder, daß es nicht zerschellte,
Denn nur ein Kind, ein zartes, stand
Am Steuer unter blauem Zelte
Und lenkte mit der kleinen Hand.
Das leuchtende Verdeck erfüllten
Tiefernste Männer, deren Haupt
Das sie zum Theil verhüllten,
Von Lorbeerzweigen war umlaubt.
Bedeutende Gespräche pflogen
Die Weisen, wie sie hie und da
Zum Himmel zeigten; doch auf Wogen
Und Klippen ihrer Keiner sah.
Und weiter zog das Schiff und weiter,
Bald stiegen andre Schaaren ein,
Die ernsteren Begleiter
Verschwanden in den buntern Reihn.
Ein schöner Jüngling hielt das Steuer,
Es schallte das Verdeck nun ganz
Von Geigen, Flöten, die voll Feuer
Zum Singen luden und zum Tanz.
Die Klippen waren längst verschwunden,
Ein heller Tag beschien die Höhn,
Das Fahrzeug war umwunden
Mit Blumenkränzen reich und schön.
So zog es fort und weiter, weiter
In Lust und jubelndem Verkehr,
Der Himmel glänzte licht und heiter,
Die Landschaft blühte ringsumher.
Noch waren nicht die längern Schatten
Ins Thal gebrochen, als schon die,
Die froh gesungen hatten,
Still lauschten einer Melodie.
Nur ein Gesang von allen regte
Der Seele tiefste Schwingen an,
Das Steuer, das sich kaum bewegte,
Das lenkte jetzt ein hoher Mann.
In breiteren gehobnen Fluthen
Entglitt dahin der stolze Strom,
In goldnem Abbild ruhten
Auf seiner Welle Berg und Dom,
Aus ruhiger Tiefe widerhallten
Die Lieder, die der Sänger sang,
Und sinnend schauten Frau'ngestalten
Der Sonne fernen Niedergang.
Nun als es dunkel ward, erschienen
Am Bord die Lichter angefacht
Smaragdgrün und rubinen,
Und lauter ward gescherzt, gelacht,
Ein Maskenzug trat durchs Gedränge
Der Faune taumeltrunkener Chor,
Nun herrschten nur noch Becherklänge
Und kosendes Gelage vor.
Inzwischen hatte, da's genachtet,
Auch schon der Steuermann getauscht,
Von Allen unbeachtet,
Und in dem Lärmen unbelauscht.
Er saß vom Mantel schwarz umfangen;
Und hob der Wind den Saum davon,
So sah man Knochen statt der Wangen,
Und statt der Lippe - kalten Hohn.
Bacchantisch aber, immer wilder
Erschollen Lust und Jubelschrei,
Auftauchten Nebelbilder,
Und huschten grell beglänzt vorbei.
Und fort ging's, fort, bis endlos Wogen
Des Meers sich aufthat, Licht an Licht
Erlosch dem Boot - so kam's geflogen -
Doch wohin weiter, sah ich nicht.
Hermann
von Lingg . 1820 - 1905
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