162 Bücher
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Hermann von Lingg
Schlußsteine
. 1. Auflage 1878
Manche Literaturgeschichten
Literarhistorien sind
Keine Bücher zur Zerstreuung,
Sondern Molochsrachen, Kind!
In beständ'ger Wiederkäuung.
Lessing - (hätt' euch der erwischt!)
Goethe, Schiller werden, Heine
Immer wieder aufgetischt,
Und zernagt bis aufs Gebeine.
Bis zum Letzten abgetropft
Wird das Glas, aus dem sie tranken,
Jedes Stäubchen ausgeklopft
Aus den dunkelsten Gedanken.
Nicht ein Küchenzettel blieb,
Kein Billetchen, das der Meister
Einer alten Dame schrieb,
Undurchforscht durch scharfe Geister.
Weiter bis sie - höchstes Glück!
Sich im Mittelalter finden,
Gehn Romantiker zurück,
Wie der Wurm in alten Rinden.
Irgend ein vergilbter Kratz
Aus der Klosterschreiber Federn -
Solches ist der wahre Schatz,
Wär' es noch so roh und ledern.
Aber für die neue Zeit,
Für der Mitwelt Streben, Ringen
Hat man nicht ein Wort bereit,
Außer tadelnd anzubringen.
Das gibt Würde, das gibt Ruhm!
Herrlich ist nur, was vergangen,
Und das Epigonenthum
Hat bei uns erst angefangen.
Ueber Alles komme ja
Reim und Versmaß reingeflossen.
Phantasie, Gedanken? Pah!
Geist und Herzblut? - Narrenspossen!
O, wie schaun sie vornehm klar
Auf das Dichtervölklein nieder!
Manchen ritt der Teufel zwar,
Und er schmierte selbst auch Lieder.
Lieder, Epopöen auch,
Oder längst verscholl'ne Dramen,
Und nun schmuggelte der Gauch
In sein Buch den eig'nen Namen.
Was die hohe Meinung stört,
Das wird schmählich abgewandelt.
Wer zur Clique nicht gehört,
Wird als Idiot behandelt.
Aber das Gezüchte strotzt
Von Gefühl und guter Lehre,
Wie die Klatschfraubas schmarotzt
Stets auf Kosten Andrer Ehre.
Hermann
von Lingg . 1820 - 1905
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