162 Bücher
|
Hermann von Lingg
Schlußsteine
. 1. Auflage 1878
Morgen- und Abendland
1846.
Nur ein prunkvoll Leichenbegängniß
Ist die Geschichte des Orients,
Schatten wirft ein schwer Verhängniß
Ueber die Länder voll ewigem Lenz.
Ueberall Trümmer, gebrochene Zeugen
Untergegangener Herrlichkeit
Lehren die schweigenden Völker sich beugen
Vor dem allmächtigen Sturme der Zeit.
Zitternd und scheu vor dem Geiste der Zeiten
Wirfst du dich nieder, o Morgenland!
Ist dir geboten, nicht fürder zu schreiten,
Als du schon gingst mit dem Schwert in der Hand?
Asche liegt über deinem Scheitel,
Dein uraltes Klagelied spricht:
"Alles des Menschen Erringen ist eitel,
All sein Wissen erlöst ihn nicht!"
Aber die Söhne der geistigen Helle
Führen die Bahnen des Menschengeschlechts
Von der Vergangenheit dunkler Quelle
Auf zu den Höhn des Lichts und des Rechts;
Unerkannt wandeln im Drängen der Menge
Waltende Genien in Menschengestalt,
Und sie verhüllen den Blicken mit Strenge
Ihrer Erscheinung und Nähe Gewalt.
Unter der Maske des tappenden blinden
Zufalls wissen sie sicher und klar
Mitten aus Allem herauszufinden
Ihrer Erkor'nen und Jünger Schaar,
Nimmer zu ruhen und immer zu bauen,
Weil ja die Menschheit immer stieg,
Hebt und beseelt uns mit dem Vertrauen,
Endlich erringe das Gute den Sieg.
Herrlich vollenden die Ewigen spielend
Thaten und Werke von Anbeginn,
Immer mit Räthselworten zielend
Auf den verborgenen Sinn darin,
Und die Jahrhunderte, die sie beleben,
Führen sie fort, um über der Zeit
Sie mit den Sternen einzuweben
In den Gedanken der Ewigkeit.
Hermann
von Lingg . 1820 - 1905
|
|