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Hermann von Lingg
Schlußsteine
. 1. Auflage 1878
Perikles
Nur Wen'ge waren noch am Leben
Von seinen Freunden, ihre Schaar
Hielt treu sein Krankenbett umgeben;
Und als er nah dem Sterben war,
Gedachten sie der Schlachttrophäen,
Der Thaten all, die ihm geglückt,
Der Hallen, Tempel, Propyläen,
Womit er sein Athen geschmückt.
Sie sprachen's, ihren Schmerz beschwichtend,
Und wähnten, er im Fieberwahn
Vernehm' es nicht, doch auf sich richtend
Und sie erkennend hub er an:
"Habt ihr mich kampfmüd' je gesehen? -
O Freunde, die ich schaue hier.
Mein Schmerzenslager bang umstehen,
Bezeugt es, treue Seelen, mir!
Hat Hellas Freiheit, seine Einheit
Nicht jede Kraft in mir geweckt?
Hat Neid, hat Bosheit, hat Gemeinheit
Mich je auf meiner Bahn geschreckt?
Ich sah sie gegen mein Bestreben
Und gegen meine beste That
Den niedrigsten Verdacht erheben;
Sagt, ob ihr mich nur wanken saht?
Nun denn, wofür die Thränen? Eher
Gedenkt, wie ihr mir gleichen wollt,
Der reine Wille steht doch höher
Als all die Menge, die ihm grollt!
Doch ja, ihr sahet mich erliegen,
Als Phidias mir im Kerker starb,
Als ich umsonst mit allen Siegen
Um meines Freundes Rettung warb.
Ihr saht mich weinen, als der letzte
Von meinen Söhnen starb, als ich
Aufs bleiche Haupt den Kranz ihm setzte,
Ach! da war's, daß mein Muth erblich!"
Er sprach's und sank aufs Polster nieder,
Die Freunde schlichen trauernd fort,
Die tiefste Stille war nun wieder,
Doch Xenophon ergriff das Wort:
"O Perikles! Verzeih' den Thränen
Und laß uns nochmals deines Ruhms
Und deines Siegerglücks erwähnen,
Und unsres größten Heiligthums:
Des Parthenon, zu dem die Sonne,
Ehe denn ihr Tag ins Meer versinkt,
Aufleuchtend, strahlend noch voll Wonne
Den Scheidegruß herüberwinkt!
Wenn solch erhab'ner Werke Ragen
Nicht überwände Tod und Nacht,
Dann müßten wir uns trauernd sagen,
Es gäbe keine höh're Macht,
Und jener Geist, der, allumfassend,
Der Schöpfung Glanz und Ordnung gab,
Er wäre, selbst sein Werk verlassend,
Nur selbst ein ungeheures Grab."
Kaum war dies Trostwort ausgesprochen,
Und tiefe Stille folgte nach,
Von leisem Schluchzen unterbrochen,
Da trat Aspasia ins Gemach;
Sie kam mit unhörbarem Schritte
Und trat dem Sterbebette nah,
In ihrem Schmerz so schön, als litte
Ein Götterbild, so stand sie da.
"Ach," sprach sie sanft und still erbebend,
"Die Priester haben dich gehaßt,
Weil du dein Haupt, so kühn erhebend,
Das Unglück trugst, so stolz gefaßt;
Du nahmst der Thoren Hohngelächter,
Wie jene Pest mit Gleichmuth hin,
Sie hießen dich den Gottverächter,
Auch das hast lächelnd du verziehn."
Der Kranke hob das abgezehrte,
Sein fieberbleiches Angesicht,
Und sprach: "Was mich am meisten ehrte,
Und ewig ehrt, ihr wißt es nicht?
Merkt, Freunde, denn ich will's euch sagen;
Das Siegsglück gab der Götter Huld,
Doch mein ist, daß nie wer getragen
Ein Trauerkleid durch meine Schuld.
Ja, das ist mehr, als in Gefahren
Der Schlacht zu stehn, wenn ihr bedenkt,
Wie mächtig meine Feinde waren,
Und wie mich tief ihr Haß gekränkt.
Doch, Dank den Grazien, ich bewahrte
Mein Herz von Rachediensten rein,
Lebt wohl! Aspasia, deine zarte,
Geliebte Hand hüll' nun mich ein."
Hermann
von Lingg . 1820 - 1905
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