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Hermann von Lingg
Schlußsteine
. 1. Auflage 1878
Prolog
zum Conzerte für ein projektirtes
Schwind-Denkmal.
Dich, himmlische Tonkunst, laden wir ein
Von Höhn des Gesanges,
Geleite den Reigen melodischen Ganges
Und füge zum Denkmal als Erste den Stein,
Für ihn, der die Töne zu zeichnen verstand,
Der aus der Musik mit bildender Hand
Dem erstaunenden Auge Gestalten erfand.
Und wie er es selbst sich erwählt und gedacht,
So soll sich's erheben,
Daß, schmückend, Gebilde von ihm es beleben,
Gestirnen gleich an dem Gewölbe der Nacht,
Indessen von drauß' von der Berge Rund
Die Tannen hereinschaun, und blitzend im Grund
Die Wellen mit märchenhaft rauschendem Mund.
Urewige Harmonie der Welt,
In Genien geoffenbarte,
Zum Kräftigen hast du das Zarte,
Zur himmlischen Laune den Tiefsinn gesellt.
Und so wie die Mächtigen alle sind,
War er auch der Heros, der Meister Schwind,
Gedankengroß, aber an Anmut ein Kind.
Weit leuchten von seinen Phantasien
Manch stolze Gebäude
Mit holden Gebilden der Lust und der Freude,
Wie Blumen die Tiefe des Meeres durchziehn;
Denn Alles, was angeht des Menschen Herz
Verstund er zu schildern, den Gram und den Scherz,
Den liebenden Muth und den duldenden Schmerz.
Ihm klang es noch hell das romantische Horn
Von dämmernden Seen,
Und weckte den Ritter und lockte die Feen
Zum Tanz um die Eichen am Zauberborn;
Er sah in der Felsen granit'nem Dom
Am Feuerheerd schaffen den heimlichen Gnom,
Und den Elfenkönig am wogenden Strom.
Ihm war es gegönnt, daß er würdig und groß
Nach alle dem Schönen,
Womit er beschenkte, die Reihe zu krönen,
Noch mit dem vollendetsten Werke schloß,
In Melusinens ergreifendem Bild
Winkt unter des Todes schwarzem Schild
Ein Gruß schon aus seliger Geister Gefild.
Einst traten an eine Wiege drei
Weissagende Frauen,
Die älteren Beiden mit freundlichen Brauen
Verkündeten Gutes und wallten vorbei,
Die Dritte trat hart vor das Kind und sprach:
"So lange die Kerze dort brennt im Gemach,
Und keine Stunde mehr lebt er darnach."
Da löschte die Erste der Nornen geschwind
Die Kerze - "Behüte,"
Begann sie zur Mutter mit eifriger Güte,
"Behüte sorgfältig die Kerze dem Kind,
Und zünde sie ja nicht wieder an,
Als bis er vollendend die Lebensbahn
Noch Großes zuvor auf Erden gethan."
Und Großes vollbrachte, manch herrliche That,
In Jahren und Jahren
Der Jüngling und Mann, und rang in Gefahren
In Kämpfen hervor, und verbreitete Saat
Des Guten im Volke mit ernstlichem Mühn,
Und sah noch sein Vaterland freudig und kühn
In mächtiger Stärke gewaltig erblühn.
Jetzt, als ihm vom Alter die Schläfen ergraut,
Da siehe - bei Klängen
Der Harfen und Becher und Siegesgesängen,
Nachdem er die schönsten der Tage geschaut,
Entfacht er die Kerze, der Norne Gut,
Und blickt mit ruhigem Heldenmuth
In der Lebensflamme verlöschende Gluth.
Wenn bald nun ragt das Denkmal empor,
Dann wollen wir sagen,
Es schwebt darum aus Blüthetagen
Der deutschen Kunst ein Geisterchor,
Es umblüh und umrausch' es, und altere nie
Die goldene Blume der Phantasie,
Und ein ewiger Quell von Poesie.
Hermann
von Lingg . 1820 - 1905
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