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Schlußsteine
162 Bücher



Hermann von Lingg
Schlußsteine . 1. Auflage 1878



Schneckengang

Du kommst, o Schnecke, deines Weges eben
Vom Blatt, das vor dir niederfiel, zu mir,
Nun liegt auch dies, und welch ein buntes Leben,
Welch vielbewegtes hinter dir!

Du hast den großen Kiesel überschritten,
Und thatest, was gekonnt die Sonne nur,
Den Tropfen Thau, den Blumensybariten
Vertilgtest du bis auf die Spur.

Dann drangst den Pilzen du durch ihre Zelte,
Und klug umgangen ward in einem Tag
Ein wilder Stamm, der sich entgegenstellte,
Der quer auf deinem Wege lag.

Du schrittest vor, den kriechenden Gewürmen
Zum Trotz, und vor, es mochte dir voll List,
Sein Bollwerk jenes Volk entgegenthürmen,
Das zahllos und so thätig ist.

Ha, welch ein hoher Muth mag dich erfüllen,
Auf dir ruht deines Hauses ganze Last,
Doch du, mag Sturmwind oder Donner brüllen,
Du bleibst geruhig und gefaßt!

Wer dich erblickt, erinnert sich im Geiste
An alles Große, was die Zeit gethan,
Seit sie die halbe Welt im Flug umkreiste
Mit Telegraph und Eisenbahn.

Denn alle Reisen, jede fernste Strecke,
Was sind sie gegen die Unendlichkeit?
Nicht mehr, als deine Fahrt längs dieser Hecke -
Was seh' ich, bist du schon so weit?

Was hält dich auf, ein kleiner Aschenhaufe?
Ja Schnecke, du hast Recht, das ist der Punkt,
Wo jeder Held noch hielt im raschen Laufe,
Wie sehr er siegreich auch geprunkt.

Nun ruhe, du hast Zeit dazu, denn ferne,
Weit hinter dir erst keucht heran
Am Krückenstock mit Schlafrock und Laterne,
Dein alter Freund, der Schlendrian.


  Hermann von Lingg . 1820 - 1905






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