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Rudolf Presber
Aus
Traum und Tanz . 1. Auflage 1908
Bleigießen
Das ist die Nacht der Jahreswende,
Das ist die Nacht der Zauberei -
So nimm in deine kleine Hände
Den Löffel mit dem flüss'gen Blei;
Das alte Erbstück faß und gieße
Das Abbild mir von künft'gem Tag,
Daß mir ein Wink ins Wasser fließe
Von dem, was auf mich warten mag.
Ein Zischen, Sieden, Spritzen, Pfeifen -
Am Boden liegt ein Klümpchen Blei.
Du mußt's mit spitzen Fingern greifen -
Laß schauen, Liebchen, was es sei.
Ein länglich Ding von mattem Glanze
Steigt mir gekühlt aus klarem Bad,
Fast menschenähnlich - mit 'ner Lanze
Im plumpen Arme - ein Soldat.
Gut so. Das nenn' ich prophezeien!
Gib her den Kriegsmann. Er ist mein.
Es wird, so Gott will, auch im "Neuen"
Für mich noch was zu kämpfen sein.
Verheißungsvoll aus Blei geflossen
Symbol von Wagnis und Gefecht -
Hätt' ich ein Lotterbett gegossen,
Ich wär' verstimmt; doch so ist's recht!
Noch einen Löffel, liebste Kleine,
Es zischt und spritzt - Was ist denn das?
Ein langer Hals, vier dünne Beine,
Ein breiter Schweif ... ein guter Spaß!
Ein Pferd ist's, Kind; daß ich's erklären
Erst deiner holden Torheit muß!
Die tüchtigste von allen Mähren:
Der liebe alte Pegasus.
"Wenn drauß die Finken wieder singen,"
So kichert's listig aus dem Blei,
"Sollst du dich in den Sattel schwingen
Zu froher Fahrt in Traum und Mai."
Und warum nicht! Wohlan ich zäume
Den Braven mir zu neuem Ritt
Und bring' mir aus dem Land der Träume
Das Kleinod meines Lebens mit ...
Noch nicht genug? Noch einmal gießen?
Du fragst das Schicksal leicht zu viel -
Ach, Kleine, schau, zu deuten diesen
Metallkloß ist kein Kinderspiel.
Doch halt, ich seh's an deiner Miene,
Du denkst dasselbe jetzt, wie ich:
Ein Fräulein in der Krinoline
Grüßt aus dem Wasser minniglich.
Ein Fräulein ...? Hm ... Das ließ sich deuten
Auf manche Art. Ich geb' es zu.
Ach, laß die Rätsel andern Leuten,
Heut sind wir glücklich, ich und du.
Es schlummert viel in künft'gen Tagen,
Und mancher Zauber lockt mit List,
Was sollen wir uns fragend plagen,
Ob du im Blei das "Fräulein" bist.
Daß mir zwölf Monde keiner raube
Dein rotes Herz, mein blonder Wicht,
So weit geht doch mein Aberglaube
Ans Blei und seine Weisheit nicht.
Und ob ich selbst ...? So laß uns feiern
Und gib der bösen Frage Ruh:
Ob dieses Fräulein, steif und bleiern,
Am End' ein andres ist als du ...
Rudolf
Presber . 1868 - 1935
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