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Rudolf Presber
Aus
Traum und Tanz . 1. Auflage 1908
Der erste Frost
Ich schreit' auf wohlbekannten Wegen,
Die Buchen stehen kahl entlaubt;
Ich seh' sein fahles Silber legen
Den Morgennebel um ihr Haupt.
Mein Atem weht in schwanker Säule,
Zur Linken kreist ein Krähenheer;
Ein scharfer Duft der Blätterfäule
Streicht herbstlich von den Gärten her.
Zu kurzer Bahn im alten Gleise
Erhebt sich müd' der Tag im Ost,
Unter den Schritten klirrt es leise -
Der erste Frost!
Fern liegt die Stadt mit ihren Plagen
Die Giebel voller Stuck und Gold.
Ein Schulkind läuft ... Ein Hundewagen
Mit Milch, der aus der Vorstadt rollt...
Ich schreite so in Träumen weiter
An Heckenzäunen dürr und schief.
Ein kleines Blatt ist mein Begleiter:
Mit flücht'ger Schrift ein rosa Brief.
Ich wollte grad das Haus verlassen,
Da bracht ihn mir die Morgenpost:
"Heut abend will's mir gar nicht passen ..."
Der erste Frost!
Hörst du, wie leise im Gemüte
Ein Echo deiner Schritte klirrt?
Und hast du, als die Linde blühte,
Geahnt nicht, daß es kommen wird?
Hast du geglaubt, die Blumen lohnen
Tief in den Winter dir dein Lied,
Gewußt nicht, daß um dürre Kronen,
Wie bald die Krähe Kreise zieht?
Hast du gehofft, ein Düften bliebe
Zurück von allem, was da sproßt -?
Nun legt sich dir auf Welt und Liebe
Der erste Frost.
So knittre lächelnd nur zusammen
Das Blättchen, draus der Abschied klingt.
Verblühter Strauch, verwehte Flammen -
Kein Frühling, der das wiederbringt.
Doch nimm ein Zweiglein in die Hände,
Um das der Rauhreif Silber spann;
Es setzt versteckt am Rindenende
Geschützte, zarte Knospen an.
Die Hoffnung auf ein neues Blühen
Sei deines Herzens Winterkost;
So magst du still die Straßen ziehen
Durch ersten Frost ...
Rudolf
Presber . 1868 - 1935
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