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Rudolf Presber
Aus
Traum und Tanz . 1. Auflage 1908
Der Zeuge
O, wie muß es doch erfreuen
Einen rechten deutschen Mann,
Wenn er so in Ehr und Treuen
Froh die Wahrheit sprechen kann!
Wenn er sich respektvoll beugen
Darf der Frau Justitia
Und im Reigen biedrer Zeugen
Nur berichtet, was er sah,
Was er hörte und vernommen,
Was erzürnt ihn und gerührt,
Und wie alles dies gekommen,
So zu dem "Prozeß" geführt.
Und die beiden Rechtsanwälte
Lauschen gierig, kampfbereit -
Einer blickt mit eis'ger Kälte,
Und der andre scheint erfreut.
Als der Zeuge nun geendet,
Sinnend sich zurückzuziehn,
Des Beklagten Anwalt wendet
Sich mit Fragen gegen ihn.
In die Akten tief versunken
Forscht er, wendet Blatt um Blatt:
Ob sein Vater nicht getrunken
Oder gar - gesoffen hat?
Seinen Ahnherrn sah man kämpfen,
Meint er, wider Staat und Thron;
Und die Tante litt an Krämpfen,
Und ein Trottel war ihr Sohn.
Und ein Onkel - dies aus bester
Quelle - war ein Sausewind;
Und des Zeugen einz'ge Schwester
Hatte irgendwo ein Kind.
Und der Zeuge - ganz persönlich -
War als Schüler recht borniert,
Hat von Sexta auf gewöhnlich
Jede Klasse repetiert.
Und der Zeuge gilt als träger
Zahler bei der Wirte Zunft,
Und als hitz'gem Schürzenjäger
Fehlt ihm Selbstzucht und Vernunft.
Und es wird ein Hausknecht kommen
Vor die Schranken, der beschwört,
Daß der Mann sich nicht benommen
Allerorts, wie sich's gehört.
Eine Dame der Rotunde
Wird bezeugen vor der Welt,
Daß er ihr als treuster Kunde
Einmal leider zechgeprellt ...
Alles wird er dir beweisen,
Was er tadelnd vorgebracht,
Und du magst den Himmel preisen,
Wenn er bloß dich madig macht;
Wenn dein Name in den Kot nimmt
Bloß den ungeahnten Sturz,
Und kein Hund ein Stücklein Brot nimmt
Mehr von solcher Kummerwurz;
Wenn er dir die saubren Kleider
In den Dreck der Straße trat -
Du bist "Zeuge" und nichts weiter,
Aber er ist - Advokat! ...
Freunde, ruft man in Prozessen
Mich zur Zeugenliste auf,
Hab' ich alles glatt vergessen
Und verschwitzt - mein Wort darauf!
Ob ich Findelkind, ob Waise,
Wie geschätzt zur Steuerpflicht,
Wo ich wohne, wie ich heiße,
Werte Herrn, ich weiß es nicht.
Lieber still im Grabe tot sein,
Als gefoltert, naß von Schweiß;
Zehnmal lieber ein Idiot sein,
Als ein Zeuge, der "was weiß"!
Rudolf
Presber . 1868 - 1935
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