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Gedichte, Lyrik, Poesie

Aus Traum und Tanz
162 Bücher



Rudolf Presber
Aus Traum und Tanz . 1. Auflage 1908



Die Dirne

Ich fand im Spittel am dämm'rigen Tag
Eine Dirne, die im Sterben lag.

Sie wollt' keinen Arzt, keinen Priester mehr sehn,
Ganz still auf die große Reise gehn.

Sie nahm keinen Trank, keine Speise mehr -
Vom Tischchen grüßt der Gekreuzigte her.

Ich setzt' an ihr Bett mich, ich griff ihre Hand,
Da dreht sie den Kopf von der schmucklosen Wand;

Da zeigt sie ein Antlitz, von Träumen wüst,
Das viel gelitten und viel gebüßt.

Da sah sie mit müden Augen mich an:
"In letzter Stunde ein gütiger Mann.

Zerstoben die Freunde vom Lebensfest -
Ein Fremder, der mich nicht sterben läßt.

So hör meine Beichte, so hör mein Gebet,
Das hier kein Pfaff, keine Schwester versteht.

Ich wuchs, eine wilde Blume im Land,
Ich hab' nicht Vater noch Mutter gekannt.

Keine Hand geküßt, keinen Gott geehrt,
Viel Männer haben mich lüstern begehrt.

Zog einsam die Straßen, gehetzt wie ein Tier,
Gelächter und Argwohn hinter mir.

Ich macht in der schimmernden Hauptstadt Rast -
Da winkt mich der König in seinen Palast.

Er schenkte Karossen, er baute mein Haus,
Er goß mir all seine Schätze aus.

Minister und Höflinge buckelten tief,
Sein Land hielt den Atem an, wenn ich schlief.

Hab' gefürstet beim Frühstück, gemordet beim Tanz,
War Engel und Furie des zitternden Lands.

Es blühten die Astern, der Sommer entwich -
Da nahm er ein Weib, da verstieß er mich ...

Zog einsam die Straßen, gehetzt wie ein Tier,
Gelächter und Argwohn hinter mir.

Da bot ich mich aus für Jüngling und Greis -
Ein Kaufherr zahlte den höchsten Preis.

In indische Seide hüllt' er mich ein,
Und hat mich gebadet im roten Wein.

Am Gürtel funkelt' Smaragd und Rubin -
Am siebten Tag betrog ich ihn.

Er nahte zur Nacht, in der Hand ein Geschmeid,
Er bog des Vorhangs Falten zur Seit';

Er tastet zum Lager mit lüsternem Scherz -
Mein Buhle stieß ihm den Dolch ins Herz.

Zog einsam die Straßen, gehetzt wie ein Tier,
Gelächter und Argwohn hinter mir ...

Ich bin zu einem Dichter gekommen,
Der hat mich sanft in den Arm genommen:

Du kommst aus dem Schmutz, du botst dich zum Kauf,
Ich lege dir heilend die Hände auf.

Der Lüsternen Gier zerriß dein Gewand,
Vergiß - du trittst in ein Märchenland;

Trittst in Lilienauen, glanzumsäumt,
Was Frevel und Schande - du hast es geträumt.

Dein Herz sei all meiner Sorgen Grab,
Du schenkst mir, was mir noch keine gab.

Und in meine Lieder mit heimlicher List
Verschließ' ich, wie herrlich, wie schön du bist!

Drei Monde genoß er des Glücklichen Los,
Drei Monde barg er sein Haupt mir im Schoß.

Drei Monde war ich ihm Ausgang und Ziel,
Drei Monde blieb ich sein Herzensgespiel,

Drei Monde im Reigen von Tag und Nacht
Hab' ich ihn selig und reich gemacht.

Doch als der vierte Neumond kam,
Da blieb er allein in brennender Scham.

Die Straße, die mich ausgespien,
Die hatte mich wieder, da ließ ich ihn.

Ich war die Tollste im Maskenschwarm,
Flog lebenshungrig von Arm zu Arm.

Trug Perlen am Hals und Rosen im Haar
Und keiner wußte, wie elend ich war.

Ich sah in Nächten sein blasses Gesicht
Und wollt' es verlachen und konnt' es nicht.

Und als ich ihn suchte, zur Reue bereit,
Da war er gestorben in Einsamkeit.

Herbstwinde fegten die Blätter zum Tanz -
Auf sinkendem Hügel kein Kreuz und kein Kranz.

Zu Häupten krächzender Krähen Schwarm;
Kein Mörder liegt so verlassen und arm,

Doch mag verwesen, was drunten liegt;
Er ist genesen, er hat gesiegt;

Er hat bestanden den letzten Strauß
Und löschte die Fackel und ging voraus.

Ich weiß, sie sagen: Zu ewiger Nacht
Verdammt ist, wer sich umgebracht.

Sie lügen. Die Lieder, die er beschwor,
Sie hatten Flügel, sie tragen empor.

Sie schlagen flammend den Antichrist.
Ich weiß es, wo er zu finden ist!

Ich will ihn suchen. An Gottes Thron
Husch' ich vorüber, am heiligen Sohn;

Und sehe sein dornenzerriss'nes Gesicht
Und sehe der Hände Wunden nicht.

Ihn such' ich, der einsam in Grübeln versenkt,
Auf Wolken sitzend der Erde denkt;

Der die schlanke Hand auf die Wunde gelegt
Ein irdisches Bild noch im Herzen trägt;

Der mit den Engeln zu Tische saß
Und nimmer der sündigen Liebe vergaß.

Ich beuge mich schweigend, er nickt mir zu;
Ich neige mich weinend und löse den Schuh.

Und salb' ihm die Füße zu köstlichem Bad,
Wie Magdalene dem Heiland tat.

Mit meiner Locken gold'nem Glast
Will ich sie trocknen dem himmlischen Gast.

Vielleicht, daß er mir, von Mitleid bewegt,
Die dankbare Hand auf den Scheitel legt.

Vielleicht, daß er mir die Wangen streicht,
Daß er mich erkennt und emporzieht - vielleicht..."

Sie schwieg. - Im Garten die Käuzchen schrien.
Da ging sie hinüber und suchte ihn.


  Rudolf Presber . 1868 - 1935






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