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Rudolf Presber
Aus
Traum und Tanz . 1. Auflage 1908
Die Tränen des heil'gen Laurentius
Nun wogt das Feld in goldnen Wellen,
Kornblumen drin und Rittersporn;
Und braune emsige Gesellen
Gehn mit der Sense durch das Korn.
Die späte Blume sprengt die Hülle,
Die junge Brut im Neste schreit -
Und alles strotzt in Sommerfülle,
Und alles atmet Fruchtbarkeit.
Und wenn die Nacht in stillem Wallen
Der Erde gibt den Friedenskuß,
Von tief-tiefblauem Himmel fallen
Die Tränen des heil'gen Laurentius.
Wie hat der Gruß aus andern Welten
Des Kindes gläubig Herz erfreut,
Dem aus der Engel Wolkenzelten
Dies goldne Spielzeug schien gestreut;
Wenn es, versenkt in frommes Schauen,
Das liebe Märchenwort vernahm:
Daß von des Himmels Lilienauen
Geheimnisvoll dies Leuchten kam ...
Ach, wie die Kindheit mir mit allen
Geliebten Träumen blühen muß,
Wenn hell vom blauen Himmel fallen
Die Tränen des heil'gen Laurentius!
Wie hat nach alten Volkessitten
Die Hoffnung mir die Nacht gewürzt:
Du darfst dir wünschen was und bitten,
Wenn dort die goldne Kugel stürzt;
Du hast der Engel Spiel gesehen,
Die günst'ge Stunde nicht verpaßt,
So muß dir in Erfüllung gehen
Was du dir heiß erbeten hast.
In eitel Wonne wird ertrinken
Dein Herzeleid und dein Verdruß -
Du sahst am dunkeln Himmel sinken
Die Tränen des heil'gen Laurentius.
Tot in der Brust das fromme Wähnen,
Belächelt längst der Kinderbrauch -
Es helfen eines Heil'gen Tränen
Nicht mehr, als Menschentränen auch.
Versteckter Welten goldne Boten,
Erfüllend ihren Funkenlauf,
Sie wecken nimmer deine Toten
Und die erloschnen Freuden auf.
Und doch mich grüßt's mit lieben Stimmen,
Mich rührt's wie meiner Kindheit Kuß,
Seh' ich am Himmel still verglimmen
Die Tränen des heil'gen Laurentius ...
Rudolf
Presber . 1868 - 1935
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