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Aus Traum und Tanz
162 Bücher



Rudolf Presber
Aus Traum und Tanz . 1. Auflage 1908



Ein Abschied

Ich trat ans Bett. Geräuschlos wich zur Seite
Die Schwester, die so sorgsam dich gepflegt.
Sie hatten dir zu deinem letzten Streite
Die weißen Kissen schon zurechtgelegt.
Nicht Menschenkunst war mehr an dir zu üben -
Der Tod stand freundlich wartend an der Tür,
Und deine Träume waren schon da drüben,
            Nicht hier - nicht hier.

Plötzlich verstummt der Uhren leises Ticken,
Es hält die Zeit den heißen Atem an -
Da ward vor deinen letzten Mutterblicken
Zum schwachen Kind der kampfgestählte Mann;
Und so wie einst, da ich in schwarzen Schiefer
Die ersten Runen meiner Weisheit grub,
Klingt's leise her aus schon gelähmtem Kiefer:
            "Mein Bub' - mein Bub'!"

Noch einmal zuckt es dir wie Frühlingswonne
So warm und licht um Aug' und Stirn und Schlaf -
Das war des Lebens spät'ste Abendsonne,
Die Abschied nehmend deine Seele traf.
Ein sprachlos Wunder heil'ger Zärtlichkeiten
Ergoß aus deinem Blick sich durch den Raum;
Dann ließest du die müden Lider gleiten
            Im Traum - im Traum.

Träumst du von deines Jungen Kampf und Siege,
Der längst sich losriß von der güt'gen Hand?
Träumst du von einer schmalen, kleinen Wiege,
Die hier am Bett vor Jahr und Jahren stand?
Träumst du von Ärmchen, die so zart gehangen
Um deinen Hals in heißer Fiebernot?
Träumst du von jenen, die vorausgegangen
            Im Tod - im Tod?

Der Puls wird schwach ... Ich fühl' die Hand erkalten,
Wie kurz und rauh der müde Atem bläst -
Laß, Mutter, mich noch einmal Zwiesprach halten
Mit deinem reichen Herzen, eh' du gehst!
Schlag einmal noch das Aug', das freudeblanke,
Voll zu mir auf, eh' dich der Schnitter mäht;
Schließ einmal noch das Ohr auf meinem Danke - -
            Zu spät - zu spät!

Du gingst, ohn' einmal noch dich umzuwenden,
Voraus, wohin ich heut nicht folgen kann;
Es preßt der Tod mit unsichtbaren Händen
Die weiße Maske deinem Antlitz an.
Und in dem Schmuck des schlichten Sterbehemdes,
Zu Eis erstarrt in lebensferner Ruh',
Liegt plötzlich mir ein Kaltes und ein Fremdes -
            Nicht du - nicht du.

Nun steh' ich da in meinen alten Schulden,
Gelöst von meiner Kindheit und allein.
Ach, Mutterliebe heißt ein Lang-Gedulden
Und Mutterliebe heißt ein Viel-Verzeihn!
Mit andern Maßen werd' ich nun gemessen;
Und keine Stimme, die dem Zweifler spricht
Mit jenem Tone, ewig unvergessen:
            "Tu's nicht - tu's nicht!"

Nun heißt's allein des Lebens Schlachten schlagen,
Der Schickung trotzen und das Glück sich frein.
Die Hände, die auf meinem Scheitel lagen,
Zu segnen mich, vermodern jetzt im Schrein.
So muß es gehn auch ohne Gruß und Segen,
Des Lebens Purpurfahne wallt im Wind -
Bis sie dereinst dir an die Seite legen
            Dein Kind - dein Kind.


  Rudolf Presber . 1868 - 1935






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