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Rudolf Presber
Aus
Traum und Tanz . 1. Auflage 1908
Schlaraffenland
Die Muhme hatt' mit vielen Bildern
Gar einen herrlich dicken Band;
Draus las sie, köstlich - nicht zu schildern -
Vom fröhlichen Schlaraffenland.
Lebkuchen, dick mit Mandelkernen,
Sind dort die Häuser, Wein der See.
Kein Hosenmatz braucht dort zu lernen
Das unsympath'sche A B C.
Messer im Bauch und Silbergabel,
Läuft grunzend die gesottne Sau;
Und, frischen Kopfsalat im Schnabel,
Knusprig gebraten thront der Pfau.
Und dort vom Baum an Seidenbändchen
Wehn Quittenpasten her und hin ...
"Ach, Muhme, sag', wo liegt das Ländchen?" -
Werd nur erst groß, dann kommst du hin!
Die Muhme, die dem kleinen Toren
Die Bilder zeigte, liegt im Grab.
Das Buch - das Buch ging just verloren,
Als man ihr Gut den Erben gab.
Und ich? - mein Gott, ich wuchs zu Taten
Im Schweiß. Es ging halt, wie es ging.
Doch Tauben waren nie gebraten,
Die ich mir mühsam schoß und fing.
Nirgends floß Wein, wie ich gelesen,
Und legt' ich harte Taler hin,
Dann ist er noch geschmiert gewesen -
Und ganz besonders in Berlin.
Und reicher als an Mandelkernen
War mancher Tag in Ach und Weh,
Und manches, übler noch zu lernen,
Kam tückisch nach dem A B C.
So kämpft' ich mit der Väter Waffen
Und weiß, daß folgend meinem Stern,
Ich von dem Lande der Schlaraffen
Mit jedem Schritte mich entfern'.
Und hatt' ich Wälle mir erlesen,
Die ich erstieg in Trotz und Qual -
Von Reisbrei sind sie nie gewesen;
Das zeugt mir manches blaue Mal.
Und wenn ich mich der Taler freue,
Ganz seltne Blumen darf ich schaun -
Doch nimmermehr gesottne Säue
Und tief im Kopfsalat die Pfaun.
Und was mir füllte Herz und Truhe
Segen des Heims, des Herdes Dampf,
Kam nimmer in Schlaraffenruhe,
Es kam in Arbeit, kam im Kampf.
Nur manchmal, wenn ich abends schließe
Das Aug', der Kopf sinkt mir aufs Kinn,
Bin ich im Kinderparadiese,
Und mitten sitzt die Muhme drin.
Und lächelnd, wie in jenen Stunden,
Die sie im Dämmer mir erzählt,
Spricht sie: "Ich habe hingefunden,
Ich hab' den rechten Weg gewählt.
Ich lieg' zufrieden heut wie morgen,
Kein rauher Ruf stört meine Ruh,
Ich brauch' den Teufel mich zu sorgen
Und träume, träume immerzu.
Wenn sie dir erst das Bettchen rücken
Dicht zu dem meinen, Wand an Wand,
Dann zeig' ich deinen müden Blicken
Das wirkliche Schlaraffenland ..."
Rudolf
Presber . 1868 - 1935
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