Das Wirtshaus zur Sonne

Draußen schlang der junge Mai
Seine grünen Ranken,
Und wir saßen still dabei,
Wenn die Eltern tranken.

Mutter nippte nur am Glas,
Freundlich und gefüge -
Vater lehrte dies und das
Und tat gute Züge.

Mutter goß Schokolade ein,
Was uns innig freute;
Vater sprach: es sei der Wein
Für die großen Leute.

Vater blies aus dem Tabak
Ringel für die Kinder;
Draußen pfiff den Dudelsack
Vor dem Tor ein Blinder.

Hoch auf blankgeputztem Schild
Über Trunk und Gäste
Lacht der "Sonne" liebes Bild
Listig durch die Äste ...

Wo die liebe "Sonne" stand
Mit so mildem Blinken,
Lockt ein Prunkbau jetzt ins Land,
Und die Autos stinken.

Lang schon schweigt der Dudelsack
An des Hauses Schwelle;
Doch ein Herr im schwarzen Frack
Bändigt die "Kapelle".

Stolz als wie ein Zarewitsch
Zaubert der Fatale
Allen musikalschen Kitsch
Übler Ball-Lokale.

Seltenster Azalien Flor
Webt den Blütenschleier;
Und es sitzt der Garde du Korps
Flirtend bei Frau Meyer.

Rot von Schirmchen überdacht,
Duften die Pasteten -
Und die "Veneziansche Nacht"
Funkelt ob den Beeten.

Traurig blick' ich und erbost
Auf den Narrenreigen -
Sieh, da will ein güt'ger Trost
Aus der Flasche steigen.

Wie sie einst auf grober Bank
Zwischen seinen Lieben
Sonntags der Herr Vater trank,
Ist sie noch geblieben.

Lackverkapselt, rheinscher Art
Und von rheinscher Tugend,
Hat im Keller sie bewahrt
Mir ein Stückchen Jugend.

Und die Perlen leichten Falls,
Lieblich Abenteuer,
Quellen aus dem staub'gen Hals
Wie erlöstes Feuer.

Alles Schönen ist ihr Saft
Zaubrer und Erneurer -
Dreißig Jahr gemehrter Kraft
Und drei Taler teurer.

Ach, und meine Seele trinkt
Traum und Jugendwonne,
Und vor meinen Augen blinkt
Mir die alte Sonne ...


  Rudolf Presber . 1868 - 1935

Expressionisten
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