Der Zeiger rückt...

Als ich in die Welt gefahren,
Kühn als junger Naseweis,
Schien ein Mann in meinen Jahren
(Meinen jetz'gen) mir ein "Greis".

Und was mir die Pulse schlagen
Ließ und weckte den Gesang -
Ei, das mußte Zöpfe tragen
Hinterm Rücken, blond und lang.

Und wenn ich die müden Beine
Unterm Schenktisch ausgestreckt,
Haben spitze Moselweine
Meinem Gaumen wohlgeschmeckt...

Längst verblüht ist der Holunder,
Der die ersten Küsse sah,
Und den dunkelsten Burgunder
Preis ich inter pocula.

Gott, na ja, man konserviert sich,
Doch bedarf der Feuerung -
Und die Männer, knapp um vierzig,
Scheinen einem leidlich jung.

Und die Frau'n von sanfter Fülle
Werden kennerhaft erlebt,
Denen unterm Spitzentülle
Kräftig sich der Busen hebt...

Doch mein Blick war gramumdüstert
Als die Liebste mir ins Ohr,
Leis und heimlich zugeflüstert
Heute rasch im Korridor:

"Dir allein, daß du im Bilde
Bleibst, erzähl' ich's, liebster Mann:
Gestern hielt um meine Hilde,
Denk' dir, der Assessor an!..."


  Rudolf Presber . 1868 - 1935

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