Die Ahnengalerie

Stand ein Nabob an der Marmortüre
In Neuyork vor seinem Protzenhaus;
Die Lakaien hatten goldne Schnüre,
Sahen wie geheime Räte aus.
In der Halle, spürt' ich, war diverser
Ind'scher Wohlgeruch herumgestäubt;
Auf den Treppen lagen echte Perser,
Und Musik hat mir das Ohr betäubt;
Tief in Nischen, an verborgnen Stellen
(Diese Überraschung schien bezweckt),
Waren ungarische Streichkapellen
Und auch Bläser angenehm versteckt.

Sieben Rubens, einen Tintoretto,
Dreizehn Tizians zählt' ich an der Wand -
So was kostet zehn Millionen netto,
Wie der Nabob lächelnd mir gestand.
Und er reicht mir eine goldne Dose
Mit der ringgeschmückten Pfote hin,
Ein Smaragd und taubeneiergroße
Indische Rubinen saßen drin.
Schüchtern nahm ich eine Zigarette
Aus dem goldnen Bett: "Ich bin so frei -"
Daß er sie direkt vom Sultan hätte,
Dies gestand er mir so nebenbei.

Und dieweil ich alles sehr bestaunte
(Selbst der Spucknapf war ein Kapital!),
Fragte gnädig mich der Gutgelaunte:
"Interessiert Sie auch mein Ahnensaal?"
Selbstverständlich! Und wir beide schritten
Durch die Flucht der Räume. Da geschah's,
Daß der Nabob Pose nahm inmitten
Eines Saals, der drei Etagen maß.
Und was ich mit tiefer Ehrfurcht schilder',
Weil's mir auf den ersten Blick gefiel:
Bis zur Decke hing er voller Bilder,
Teils gewappnet, teils auch in Zivil.

"Sehn Sie," sprach der Nabob, "jener Schlanke
Mit dem goldnen Apfel in der Hand,
Ist ein Ahn von mir, ein alter Franke,
Karl der Große wurde er genannt.
Jener dort in scharlachrotem Kleide
Ist der zweite span'sche Philipp, der
Mir ein Urahn von der Mutter Seite -
Da kommt unsre span'sche Nase her.
Jenen dort teil' ich mit mehr Familien
In Neuyork und daherum. Es heißt
Dieser Tankred, König von Sizilien,
War ein Mann von Tapferkeit und Geist."

"Dieser dort, am Hut die hohe Feder,
Stellt den Adolf, Schwedens König, dar -
Jener Feiste ist der russ'sche Peter,
Dessen Gattin meine Tante war.
Die dort mit dem Auge, dem bigotten,
- Hingerichtet, wie man sich erzählt -
Hieß Maria, Königin der Schotten,
Die mit meinem Großohm war vermählt.
Lassen Sie die Augen höher klettern,
Unterm Purpurdach bemerken Sie
Sieben Päpste, meine heil'gen Vettern,
Rings um meine Tante Medici ..."

Und nach diesen schönen Redensarten,
Durch der Ahnen feierlich Spalier,
Führt der Nabob mich in seinen Garten,
Und da war viel seltsames Getier.
Löw' und Tiger, Flußpferd und Giraffe,
Alles hübsch in Käf'ge eingebaut,
Und auf einem Bäumchen saß ein Affe,
Der bedächtig seinen Schwanz zerkaut.
Und der list'gen Affenaugen Mahnen
Und ihr Zwinkern konnt' ich gut verstehn -
Von des Nabobs ungezählten "Ahnen"
Hatt' ich hier - den echtesten gesehn! ...


  Rudolf Presber . 1868 - 1935

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