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Rudolf Presber
Aus
zwei Seelen . 1. Auflage 1914
Die alte Vase
Es stand eine alte Vase,
Längst unbenetzt vom Trank,
Hinter verstaubtem Glase
In dem Museumsschrank.
Sie war ein wenig zerbrochen,
Und dieses war ihr Ruhm,
Und hat nicht gut gerochen
Vor lauter Altertum.
Sie hatte auch eine Nummer,
Doch diese, das war nicht nett,
Benützten zu ihrem Kummer
Die Spinnen als Klosett.
Der Henkel war verbogen,
Der Bauch war plump und breit;
Doch galt sie in Katalogen
Als Sehenswürdigkeit.
Und täglich, so war es die Regel,
Stand vor dem hohen Schrank
Ein Wächter und putzte die Nägel
Und kriegte sie doch nicht blank.
Und täglich gingen vorüber
Wohl forschend Weib und Mann
Und sahen sich alle lieber
Die nackten Götter an.
Die Vase hat keiner beachtet,
Obschon sie alt und rar;
Die Vase hat keiner betrachtet,
Obschon sie dreckig war.
Da schlich sich eines Tages
Ein Dieb in diesen Saal
Und dachte bloß: ich wag' es,
Und ich probier's einmal!
Er tat mit Eisen stemmen
Und nahm von edlem Schnitt
Ein Dutzend schöner Gemmen
Und auch - die Vase mit.
Und als man auf der Straße
Ihn griff mit seinem Schatz,
Da kam die dreckige Vase
An ihren alten Platz.
Die alte Stelle nahm sie
Bald ein auf altem Brett,
Und die alte Nummer bekam sie
Wieder als Spinnenklosett.
Doch war ein Wunder geschehen:
Es kamen aus der Stadt
Viel Leute, die Vase zu sehen,
Die wer gestohlen hat.
Besonders wenn's draußen kalt war,
Staut' sich das Publikum
Und pries, daß sie so alt war,
Und ging voll Andacht herum.
Und las wie heil'ge Verkündung
Im Katalog das Blatt
Und lobte ihre Ründung
Und schaute sich nicht satt.
Und sprach mit ernstem Sinnen
Von Kunst und alter Zeit
Und tadelte der Spinnen
Respektlose Tätigkeit ...
O alte zersprungene Vase,
Von neuem nun verehrt,
Du hast hinter staubigem Glase
Die Weisheit mich gelehrt:
Es ist das Museum der Erden
Von solchen Schätzen voll -
Gestohlen muß uns werden,
Was uns ergötzen soll!
Rudolf
Presber . 1868 - 1935
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