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Aus zwei Seelen
162 Bücher



Rudolf Presber
Aus zwei Seelen . 1. Auflage 1914



Gesang der Toten im Meere

Wir sanken, Freunde, in den Grund
Und haben im Sand uns verkrochen;
Es hat uns keines Priesters Mund
Ein "Fahre wohl!" gesprochen.
Kein Glöckchen segnete vom Turm
Die letzte schwere Reise;
Es sang uns nur der kalte Sturm
Vom Eisberg her die Weise.
Aus salz'ger Flut ein gift'ger Trunk,
Ein Pulsschlag noch dem Leben -
Und unsres Schiffes öder Prunk
War uns zum Sarg gegeben.

Wir ruhn da unten, die Faust geballt,
Von Schrecken ohnegleichen;
Wir schlafen da unten jung bei alt,
Die Ärmsten bei den Reichen:
Wir träumen da unten, die Augen starr
Nach fernen Himmeln gerichtet,
Beim greisen Weisen der junge Narr,
Dem erste Liebe vernichtet.
Und der dort oben im Elend war
Und fieberte hungernden Mundes,
Der hält in starren Fingern gar
Die edelste Perle des Grundes ...

Korallen umstehen uns, Baum bei Baum,
Und silbrige Fische ziehen;
Doch weit vom Grunde will unser Traum
Zu fernen Ufern fliehen.
Er zieht hinter flatternden Wimpeln her,
Er streicht über Bänke und Riffe,
Er grüßt die Leiber, plump und schwer,
Der schaukelnden Feuerschiffe:
Und grüßt den Turm und die kahle Wand,
Die dort dem Nebel entsteigen,
Und grüßt das Land, das grüne Land -
Das war einmal unser Eigen!

Ihr aber pflügt noch die blaue Flut
Und hastet nach winkenden Zielen,
Und bald vergeßt ihr, was unten ruht
Von einstigen Gespielen.
Vom lichtgeschmückten Promenadendeck
Flattern jubelnde Noten;
Ein Walzerlied, wie das Leben so keck,
Rauscht über den Acker der Toten.
Ein Pfropfenknall - und ein Lachen geht um
Von Flirt und leichten Geschichten ...
Tief unten liegen die Opfer stumm
Von Gottes zorn'gen Gerichten.

Gott schenk' euch allen gute Fahrt
Und der letzten Stunde Erbarmen!
Wir warten in seltsamen Reihen gepaart,
Die Reichen bei den Armen.
Wir büßen Sehnen und Tatendrang,
Wir Kämpfer unendlichen Heeres;
Die Wellen rauschen den Schlachtgesang
Über den Friedhof des Meeres.
Die Wellen rauschen ins Totenreich
Des Lebens alte Legende:
Das Lied von Uns, das Lied von Euch,
Das Lied von Kampf und Ende.


  Rudolf Presber . 1868 - 1935






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