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Rudolf Presber
Aus
zwei Seelen . 1. Auflage 1914
Im Eilzug
In einem Eisenbahncoupé -
Draußen viel frisch gefallener Schnee
Drückt die Tannen. Auf weißen Pfühlen
Kleine verschlafene Häuschen gebettet
Und, auf kahle Hügel gerettet,
Wie versprengte Soldaten, die Mühlen.
Über dem allen streng und kalt
Golden des Winters Mittagssonne...
In meinem Wagen nur eine Nonne,
Blaß, müde und alt.
In Thomas a Kempis' "Nachfolge des Christ"
Liest sie, im Ordenskleide, dem grauen,
Wie ein holzgeschnitzt' Bild zu schauen.
Und mich fröstelt im Rücken. Mir ist,
Daß die Nonne es wissen müsse,
Was mir das bebende Herze schwellt:
Daß ich die süßeste Sünde küsse,
Wenn der Zug in dem Städtchen hält;
Daß ein blondes, flockenbeschneites
Köpfchen lachend sich an mich preßt,
Und ihr Mäulchen viel Gescheites
Und viel Törichtes hören läßt;
Daß ich, entflohen der Sittenenge
Und der spießigen Bürgermoral,
Wonneraubend wieder einmal
Heimlich die kecken Flügel versenge;
Daß ich für zweier brennender Kerzen
Dauer mir für Jahr und Tag
Ungestillter Sehnsucht Schmerzen
Für einsame Kissen holen mag ...
Reglos im Schimmer der Wintersonne,
Wie von goldenen Fingern gestreift,
Leidgeläutert und schmerzgereift,
Liest gesenkten Auges die Nonne.
Und ich schaue still und befangen
Dieser lesenden Wunschlosen zu.
Und ich denke mit neidvollem Bangen:
"Einmal möcht' ich so fahren wie du!"...
Knirschend durch die verschneiten Lande
Rattert der Wagen. Im weißen Gewande
Träumen die Wälder. Still liegen die Straßen.
Ein paar aufgescheuchte Hasen
Über gefrorene Ackerkrumen
Flitzen davon. Im Fenster die Blumen
Mehren sich, die das Eis gemalt.
An der Decke das Lämpchen strahlt.
Abend -! Nur noch eine halbe Stunde
Und auf heißem geliebtem Munde
Liegt der meine. Von ungefähr
Schau' ich hinüber. Sie liest nicht mehr.
Letzter Schimmer der scheidenden Sonne
Strahlt in den dunklen Augen der Nonne,
Die, als forsche sie tief im Gemüt,
Meine aufflackernde Röte sieht.
War das wirklich die müde Alte,
Die, ein Holzbild, die ringlose Hand
Um den kleinen zerlesenen Band
De Imitatione Christi krallte?
Sanft entrunzelt liegt ihre Stirn,
Fast zu jung, der Welt schon zu sterben.
Um den Mund, den schmalen, herben,
Scheint ein Lächeln der Wehmut zu irr'n.
"Sieh', du fährst einer Sünde zu -"
Scheinen die schweigenden Lippen zu sagen,
"Doch, bei meinen verlorenen Tagen! -
Einmal möcht' ich so fahren wie du!"
Rudolf
Presber . 1868 - 1935
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