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Aus zwei Seelen
162 Bücher



Rudolf Presber
Aus zwei Seelen . 1. Auflage 1914



Reiseabenteuer

    Ein Winterabend mit Dämmerungen -
Über den Feldern Krähenflug ...
Da bin ich draußen am Wald gesprungen
In einen erleuchteten Stadtbahnzug.

    Ich denk', der Teufel will mich packen:
Da draußen der frische, kühle Schnee -
In diesem höllisch geheizten Coupé
'ne Luft zum Schneiden, 'ne Hitze zum Backen!
Am Fenster 'ne Dame, vielleicht Kommandeuse,
Aus Potsdam, Geheimrätin oder so;
Die Augen gereizt und mächtig böse -
Ich komm' ihr sichtlich nicht á propos.

    "Pardon, meine Gnäd'ge, die Luft ist zum Sticken,
Gestatten Sie, daß ich das Fenster -?" "Nein!"
Sie mißt mich mit spitzen, feindlichen Blicken,
"Das Fenster hier muß geschlossen sein!"

    "Verzeihung, es muß ...? Nach den Bahngesetzen
Muß nur an der Wetterseite ..." "Das ist
Die Wetterseite!"
Sie haut dich in Fetzen,
Dacht' ich, führst du noch weiter den Zwist.
Indessen mich wurmt's - ich erheb' mich und wandre
Hinüber und sage: "Gestatten Sie
Also vielleicht mir, daß ich das andre ...?"

    Sie sprach nicht mehr, die Gnäd'ge, sie schrie:
"Ich bitte, mein Herr, Sie sehen doch, 's ist Winter,
Es friert da draußen ja Stein und Bein,
Wollen Sie etwa mein Mörder sein?"

    Jetzt zwickt mich der Ärger: "Den Schnee sieht ein Blinder,
Aber herrliche Luft ist da drauß'.
Und hier, meine Gnädige, in diesem Kasten
Ist ein Ozon von den schlimmsten Kontrasten,
Ist ein Dunst wie im Affenhaus!"

    Bei diesem, vielleicht etwas groben, Witz
(Den ich vermieden zu stilleren Zeiten)
Wurde die Dame ganz dünn und spitz
Vor lauter gekränkten Vornehmheiten.
Sie sprach wie eine Prinzessin im Ton
Und hat mich wie mit Lauge begossen:
"Ich wünsche das Ende der Konversation -
Die beiden Fenster bleiben geschlossen!"

        Dann nahm sie das Buch aus ihrem Schoß,
In dem sie bei meinem Eintritt gelesen.
Und so bei der Lektüre - kurios -
Verändert sich langsam ihr ganzes Wesen.
In ihre Züge, so spitz und scharf,
Steigt es wie Trieb eines Frühlingssaftes,
Kommt etwas, wenn ich so sagen darf,
Etwas Junges und Mädchenhaftes.

Träume, ich seh's, mit geschwelltem Segel
Gleiten durch ihren gesänftigten Sinn,
Und sie lächelt vor sich hin
Und vergißt den schwitzenden Flegel.

    Und, beschämt von dem Widerscheine,
Fühl' ich mich wirklich klein wie nie.
Bessre Gesellschaft als die meine
Scheint ihr das Buch und tröstet sie.

    Jetzt - das Zügle mildert die Fahrt.
Meine Station! ... So laß mich doch sehn:
Was sie gelesen -? Sonst nicht meine Art,
Doch ich späh' im Vorübergehn.
Und ich erkenn' es, was sie gelesen!
All mein Zorn und Hader entwich:
Es ist ein Buch ... von mir gewesen,
Das sie getröstet hat - über mich.


  Rudolf Presber . 1868 - 1935






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