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Rudolf Presber
Aus
zwei Seelen . 1. Auflage 1914
Schreckliches Erlebnis
Durch des Waldes Tannenwege
Schlendert' harmlos ich und sang,
Als ein freundlicher "Kollege"
Plötzlich aus dem Dickicht sprang.
Rabenschwarz wie eine Dohle,
Einen Nacken wie ein Stier,
In der Rechten die Pistole,
In der Linken - ein Papier.
Und er brüllt, als wär' ich tauber
Als ein Dorsch, mich wütend an:
"Lieber Freund, ich bin ein Rauber,
Und ich mord' auch dann und wann.
Ich verachte Rat und Richter
Und der Sitte öden Brauch -
Nebenbei bemerkt, ein Dichter,
Dein Kollege, bin ich auch!
Kleine Buben, alte Tanten
Dichten einen öden Stuß,
Während just doch dem Briganten
Solches Werk gelingen muß.
Denn was heut die Dichter kohlen
In der Phrasen wüstem Schwall,
Ist zumeist ja doch gestohlen,
Und das Stehlen - unser Fall!
Und der Poesie Notabeln
Hocken sich im Schlafrock frech
An den Ofen hin und fabeln
Was zusammen. Alles Blech!
Alles Lüge, nichts Begebnis:
Mord wie Totschlag, Raub wie Brand -
Aber mir ist das Erlebnis
Und vertraut als Gegenstand!
Deshalb über Stil und Moden
Werden leuchtend - wirst du sehn -
Meine Prosa, meine Oden
Sich erheben und bestehn.
Und was ich mir selbst gedichtet
Und von andern nie geborgt,
Hat, wenn sie mich hingerichtet,
Mir ein Denkmal auch besorgt.
Und so kreuz' ich deine Wege
Als ein Räuber und Poet.
Und ich frage dich, Kollege,
Der hier zitternd vor mir steht:
Soll ich dich sofort erschießen
Hier in meinem Waldkontor,
Oder - les' ich dir erst diesen
Zyklus von Sonetten vor?"
Und ich sah ihn zweifelnd zaudern
Und der Gute dachte nach.
Mich jedoch befiel ein Schaudern,
Als ich dieses flehend sprach:
"Nimm mein Leben, meine Börse,
Wertgeschätzter Waldtyrann;
Doch, Kollege, deine Verse,
Die tu' einem andern an!"
Rudolf
Presber . 1868 - 1935
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