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Gedichte, Lyrik, Poesie

Dreiklang
162 Bücher



Rudolf Presber
Dreiklang . 1. Auflage 1904



An Seine Hochwohlgeboren

(Der Brief einer Mutter)

Verzeihung, wenn mein Schreiben keck erscheint,
Wenn ich den Namen weiß und die Adresse
Und schlicht mein Leid zu klagen mich vermesse -
Die Kleine, Herr, hat gestern so geweint!

Ich wußt's ja längst! ... Wie war sie sonst vergnügt -
Ein offnes Buch, für Mutter leicht zu lesen.
Jetzt seh' ich's oft am heißen Aug: sie lügt,
Wenn du sie fragst, wo sie so lang gewesen.
Ihr helles Kinderlachen ist dahin;
Doch leise knistern seid'ne Unterröcke.
Am Fenster welken ihre Nelkenstöcke ...
Verzeihung, Herr, es hat ja keinen Sinn
Aus kleinen Stuben kleines Leid zu schreiben.
Im ersten Zorn zerreißt Ihr mir vielleicht
Den bösen Bogen, wenn er Euch erreicht.
O wollte Gott, Ihr möchtet freundlich bleiben!
Lest nicht die Worte, kraus und schlicht gewählt;
Und eh' Ihr ärgerlich den Brief zerknittert,
Das Schluchzen hört, das mir die Brust zerquält,
Die Träne spürt, die mir im Auge zittert.
Denkt, daß ich eine lange Nacht gewacht,
Ein feuchtes Tuch um fieberheiße Stirne,
Und immer nur dem einen nachgedacht:
Wie schreib' ich's nur, daß ich ihn nicht erzürne?
Ich klag' Euch, Herr, gewiß, gewiß nicht an.
Ja früh'r vielleicht! ... Das Alter macht uns milder.
Ihr seid ein glückverwöhnter junger Mann,
Und sie - ist hübsch. Ein paar vergilbte Bilder,
Die hier bei uns auf der Kommode steh'n,
Die wollen mir in trüben Stunden sagen:
Ich hätte selbst einst in die Welt geseh'n,
So frisch, wie sie, in alten, toten Tagen.
Ich hätte selbst im sonnigen Gemüt
Mein kleines, karges Stückchen Lenz gefangen,
Wenn draus im Gärtchen blütenübersprüht
Vor ihrem Kästchen muntre Stare sangen - -
Auch ich hab' eines Mannes Aug' erfreut.
Die Jugend lacht, ich weiß es, wenn ich Alte
Den steifen Wachskranz blasser Myrten heut'
Noch unter Glas in stillen Ehren halte.
Heut' weiß ich's wohl: es lagen Dornen drin,
Die mir das Haupt geritzt in tausend Wunden;
Doch daß er einmal mir in Frühlingsstunden
Im Haare lag, von lieber Hand gebunden,
Gott ist mein Zeuge, daß ich dankbar bin.

Ich weiß nicht, ob's die Lotte Euch erzählt,
Sie tastet' sich erst eben hin am Stuhle,
Der kleine Karl ging in die Armenschule,
Die Ält'ste hat mit Nähen sich gequält,
Da legt' mein Mann sich ... So mit wunder Brust
Den Staub der Tischlerwerkstatt einzuschlucken,
Sich krank dem Hohn des groben Meisters ducken,
Das treibt zum Ende - und er hat's gewußt.
Noch fiebernd dacht' er immer ans Erwerben;
Sein Elend trieb ihm ins Gesicht die Scham ...
Dann starb er halt, wie arme Leute sterben,
Den Blick voll Angst und um die Lippen Gram.

Herr, seht mir's nach, wenn ich geschwätzig bin.
Der Wagen wartet unten - - ich begreife
Die Ungeduld. Ich Aberwitz'ge schleife
Euch frech ans letzte Bett der Armut hin.
Ihr steht gewiß im Frack und weißer Binde,
Der Diener hält schon wartend Euern Pelz,
Was kümmert Euch des Tischlers, des Gesells,
Kranzloser Hügel bei der Kirchhofslinde?
Vergißt man den Respekt, der Euch gebührt?
Was schert Euch der Prolet in kalter Erden?
Ei freilich nichts! ... Habt bloß sein Kind verführt - -
Ach, lieber Gott, laß mich nicht bitter werden!

Denkt Eurer Mutter. Und verzeiht dem Weh,
Entlockt's dem Herzen flücht'ge Zornesfunken.
Mein Sohn, mein Einz'ger ging als Jung' zur See
Und ist im Golf von Mexiko ertrunken.
Die Ält'ste - ihre Schwester ahnt es nicht,
Seid mitleidsvoll und laßt sie's niemals wissen, -
Birgt ihr geschminktes Dirnenangesicht
Allabendlich in Brüss'ler Spitzenkissen.
Jüngst sah ich sie im gelben Seidenkleid,
Perlen im Ohr, Brillanten an der Kehle -
Ach ja, das Mädchen hält auf Reinlichkeit;
Schmutzig ist nichts an ihr, als ihre Seele.
Woher sie's hat? - - ich hab' mein Haar zerrauft
Und mir das Hirn zerquält mit tausend Fragen.
Ein flottes Bürschchen hat sie sich gekauft
Und ihre Schande auf den Markt getragen.

Das einz'ge Mal nur traf ich sie. Ich kann's
Nicht denken heut' noch ohne Qual und Schrecken.
Es war am schlichten Hügel meines Manns -
Sie stand davor mit einem öden Gecken.
Mattrote Rosen, die so teuer sind,
Erkauft für Künste, die in Schmach sie lernte,
Warf sie aufs Grab - - Ich weinte mich fast blind,
Als ich die Blumen auflas und entfernte,
Als ich dem Braven, der mir angetraut,
Auf seinen Hügel, den der Herbststurm fegte,
Mein armes Büschel blühend Heidekraut
Statt solcher üpp'gen Rosenspende legte ...

So gingen zwei. Die kleine Lotte blieb.
Ich konnt' nicht viel an ihre Bildung wenden.
Nur eins, nur eins, - ich hab' das Kind so lieb
Und hütet' es mit meinen harten Händen.
Hab' seiner Sehnsucht frühen Trieb gedämpft,
Hab' ihm den Mut gestählt und das Gewissen,
Hab' mir's in Krankheit von dem Tod erkämpft
Und spart' am Mund mir für das Kind die Bissen.
Wusch kalte Nächte durch mit müder Hand,
Stand mit der Sonne auf und schafft' nach Kräften,
Um ihr zur Firmung bloß am Sammetband
Ein gold'nes Kreuzchen an den Hals zu heften.
O lacht nicht, Herr! Ihr geht zum Juwelier -
Der Vater zahlt. "Die Jugend will vertoben!"
Doch ahnt Ihr nicht, ich will mich ja nicht loben,
Wie schwer im Kampf um Brot und Miete mir
Solch kleines Kreuz am Sammetband geworden.
Ihr schenkt den Ring, der hell mit Steinen prahlt,
Und könnt mir billig meine Freuden morden,
Die ich mit Tränen, Schweiß und Blut bezahlt.

Ich seh' mit Schrecken meine Feder eilen -
Geht nicht mit jedem Worte ins Gericht!
Seht mich in Demut tauchen meine Zeilen
Und zwischen allen flüstern: zürnt mir nicht.
Seid gut mit mir, wie - wie mit Euren Pferden,
Und spart den letzten bösen Peitschenstreich.
Zwar bin ich arm, doch kann ich ärmer werden,
Ganz arm und elend, Herr, - und nur durch Euch.
Euch lächelt süß die teuerste Kokotte,
Ein keusches Dämchen folgt Euch gern als Braut,
Weiber und Glanz und Glück wohin Ihr schaut -
Vergeßt das Tischlerskind, die kleine Lotte.
Entlaßt sie gnädig, tretet sie nicht nieder
In Scham und Schmutz, weil sie's nicht anders wußt'.
Ich bin ja da. Ich nehm' ihr Köpfchen wieder
Ganz ohne Schelten tröstend an die Brust.
Kein Wort soll tadeln Euch, kein Blick Euch hassen,
Ich will Euch dankbar segnen bis ans Grab
Und will dem Kind die welken Rosen lassen,
Um deren Glanz sie ihre Jugend gab.
Mir, die sie einst in Angst und Not geboren,
Die machtlos bittend heut zur Seite steht,
Gebt sie zurück, Herr, eh' sie ganz verloren
Und ihrer Schwester wilde Wege geht.
Was sie Euch geben kann, ich weiß sie gab's;
Die müden Augen und die blassen Wangen
Sind mir genug Geständnis, und ich hab's
Allnächtlich jetzt in stummer Qual empfangen.
Ich ruf' den Himmel nicht und das Gericht,
Das ein' und andre wär' ja doch vergebens;
Doch laßt ihr noch die Hoffnung neuen Lebens.
Ein Spielzeug war's. Und nun - zerbrecht sie nicht!
Ich hab' und will zur Hilfe keinen dritten,
Kämpft Ihr - so weiß ich sicher, wer gewinnt.
Ich kann Euch nur mit Muttertränen bitten
Aus wundem Herzen, das so viel gelitten:
Herr, laßt mir dieses letzte Kind!


  Rudolf Presber . 1868 - 1935






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