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Rudolf Presber
Dreiklang
. 1. Auflage 1904
Das Liebchen
Ich hatt' mal ein Liebchen gar wohlgebaut,
War nicht meine Frau, war nicht meine Braut.
Die hat mir des Mittags mein Tischchen gedeckt
Und Abends sich kichernd ins Bettchen versteckt.
Und wie ich war, so war ich ihr recht.
War nicht ihr Tyrann und nimmer ihr Knecht.
Sie wollte kein Ringlein, sie hatte mich lieb;
Sie konnte ja laufen - sie lachte und blieb.
Ich hatt' mal ein Liebchen gar wohlgebaut,
War nicht meine Frau, war nicht meine Braut.
Und kam ich erkältet aus Wetter und Schnee,
Dann braut' sie mir hurtig Kamillentee.
Und stöhnt' ich mal nachts, noch eh' ich erwacht,
Hat die Kleine mir schon einen Senfteig gemacht.
Und fror ich im Fieber, dann huschte und schlich
Die Kleine herüber und wärmte mich ...
Ich hatt' mal ein Liebchen gar wohlgebaut,
War nicht meine Frau, war nicht meine Braut.
Und goß ich in Versen mein Herzblut aus,
Sie machte sich Lockenwickel daraus.
Und wenn ich Dramen in Jamben schrieb,
Sie mocht' sie nicht lesen, sie hatt' mich zu lieb.
Die fragte mich nicht, und die plagte mich nicht -
O du liebes, lachendes Schafsgesicht!
Die nichts mir genommen, die alles mir gab,
Wer hält dich im Arm jetzt?... Wer gießt dir das Grab?...
Rudolf
Presber . 1868 - 1935
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