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Gedichte, Lyrik, Poesie

Dreiklang
162 Bücher



Rudolf Presber
Dreiklang . 1. Auflage 1904



Der schwebende Prozeß

Das war - die Welt wird's nie vergessen,
Liegt auch der Anfang ferne schon -
Von allen Sensationsprozessen
Die allerstärkste Sensation!

Bei einer muntern Kirchweihfeier
Da hat, vom Moste übermannt,
Der Otto Schulz den Siegfried Meier
Geohrfeigt und ein Schwein genannt.

Da Siegfried Meiers Schmerz unsagbar,
Im Herzen wie auch im Gesicht,
So ward er unverzüglich klagbar
Und rief den Schulz vor das Gericht.

Der Otto Schulz schwur hoch und teuer:
Der Müller hab' mit zugeguckt,
Wie ihm zuerst der Siegfried Meier
Voll Bosheit in den Wein gespuckt.

So ward nach sieben Arbeitsstunden
Die Sache vom Gericht vertagt,
Bis man den Müller aufgefunden,
Geprüft, vereidigt und befragt.

Und Müller schwur: beim Streitbeginne
Hab' er sich untern Tisch geduckt,
Jedoch, wenn er sich recht besinne,
Hab' Otto Schulz zuerst gespuckt.

Doch, was er leider auch vergessen,
Es hab' mit seiner Ehefrau
Herr Piefke just dabeigesessen,
Der wiss' es sicher ganz genau.

So ward nach sieben Arbeitsstunden
Die Sache vom Gericht vertagt,
Bis man den Piefke aufgefunden,
Geprüft, vereidigt und befragt.

Herr Piefke gab in vielen Worten
Nicht ohne Stolz zu Protokoll:
Er selber sei begossen worden;
Doch, wenn er sich erinnern soll,

Wer da den Wein zuerst vergossen,
Wiss' er nicht recht: wie, wo und was;
Doch einer seiner Zechgenossen,
Der Adolf Bumske, wisse das.

So ward nach sieben Arbeitsstunden
Die Sache vom Gericht vertagt,
Bis man den Bumske aufgefunden,
Geprüft, vereidigt und befragt.

Und Adolf Bumske sprach sich freier
Zum Falle aus, hat nichts verschluckt
Und schwur: es hätten Schulz und Meier
Zu gleicher Zeit sich angespuckt.

Doch Siegfried Meier, wohlberaten
Von seinem Anwalt Mendelstein,
Bat einen Friedel Flapps zu laden;
Das werde sehr von Nutzen sein.

Es könne dieser Flapps bekunden,
Daß Adolf Bumske (er erbleicht)
In Quinta schon in manchen Stunden
Zum Lügen einen Hang gezeigt.

So ward nach sieben Arbeitsstunden
Die Sache vom Gericht vertagt,
Bis man Herrn Flapps hat aufgefunden,
Geprüft, vereidigt und befragt.

Und Flapps, nicht allzu wohlerzogen,
Mit seinem Wissen hat geprunkt:
Der Bumske habe stets gelogen,
Wie ein geprüfter Forstadjunkt.

Doch Otto Schulz bat, wohlberaten
Vom besten Anwalt in der Stadt,
Herrn Kasper Mazzebach zu laden,
Bei dem Herr Flapps den Stammtisch hat.

Dann werde heller bald und flinker
Verbreiten sich der Wahrheit Licht:
Herr Flapps sei ein Gewohnheitstrinker
Und außerdem der Beste nicht.

So ward nach sieben Arbeitsstunden
Die Sache vom Gericht vertagt,
Bis man Herrn Mazzebach gefunden,
Geprüft, vereidigt und befragt.

So ist man tätig schon seit Jahren
Im Dienste der Gerechtigkeit,
Und ließ - so hab' ich jüngst erfahren -
Fünftausend Zeugen schon zum Eid.

Und die heut früh zuletzt Befragten,
Die heißen wieder Schulz und sind
Des längst verstorbnen Angeklagten
Urenkelin und Enkelkind ...


  Rudolf Presber . 1868 - 1935






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