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Rudolf Presber
Dreiklang
. 1. Auflage 1904
Komm -!
Liebchen, wenn der Winter droht,
Wenn vom Wald die Krähen fliegen,
Komm, dich sacht' an mich zu schmiegen,
Ob's die Mutter auch verbot.
Laß uns von der Sonne sprechen,
Von der Veilchen süßem Duft,
Von den Knospen, die zerbrechen,
Von dem Klingen in der Luft ...
Sing mir dann die alten Lieder,
Die du von der Ahne weißt;
Daß du mir die Seele wieder
Von der dunklen Angst befreist.
Bring, du kleine, weiße Taube,
Meinem Traum das grüne Blatt,
Daß ich an den Frühling glaube,
Den mein Herz verloren hat.
Wenn ich bei der Arbeit bin,
Tief gebückt auf Folianten,
Liebchen, aus dem Kreis der Tanten
Stiehl dich sachte zu mir hin.
Was so grau und düster eben,
Welke Weisheit, toter Tand,
Alles, sieh, beginnt zu leben,
Lacht und winkt mit ros'ger Hand.
Aus den Büchern singt es leise.
Alte Zeit wird wieder jung:
Ritter, Frau'n und ernste Weise
Drängen sich zur Huldigung.
Und im Kreis nach alten Sitten
Schreiten sie zu Paaren hin -
Liebchen, du, du stehst inmitten,
Aller Weisheit Königin!
Liebchen, wenn mein Glück zerbricht,
Wenn der brave Zimmrer hämmert,
Wenn der müde Abend dämmert,
Tritt zum Lager, fürcht dich nicht!
Streich mir einmal noch die Locken
Und das Fenster öffne dann,
Daß der Ton der Heimatglocken
Meinen Frieden segnen kann.
Brich ein Zweiglein vom Holunder,
Unter dem wir Hand in Hand
Oft des Lenzes heilig Wunder
Schreiten sahn ins junge Land.
Meiner süßen Lebenslüge
Liedgekrönte Königin,
Lies im Lächeln meiner Züge,
Daß ich nicht gestorben bin!
Rudolf
Presber . 1868 - 1935
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