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Rudolf Presber
Dreiklang
. 1. Auflage 1904
Wintertraum
Erster Schnee... Ans Fenster platscht
Winter mir mit weißen Flocken -
Und die Straße liegt vermatscht;
Und es bleibt kein Steinchen trocken.
Drüben mit Geschrei und Pfiff
Stapfen kurzbehoste Rangen,
Die mit roter Händchen Griff
Sich die Flatterflocken fangen.
Am Balkon die Vase reckt
Sich als schaumgefüllter Becher;
Und die Nacht hat weiß gedeckt
Rings die Giebel und die Dächer.
Wer mir's wohl ergründen mag,
Daß durch Raum und Zeit geschwommen
Mir am ersten weißen Tag
Stets dieselben Träume kommen?
...In der Wüste, weit von Haus,
In der Palmen schmalem Schatten
Breiten Beduinen aus
Roh geflochtne Binsenmatten.
Seinen Tschibuk raucht der Scheich,
Kalt und knapp gibt er Befehle.
Weiber gleiten katzengleich
Aus dem Sattel der Kamele.
Eine Braune, schlank und flink,
Hilft das Feuerchen entfachen,
Halb ein Weib schon, halb ein Kind
Aus dem Nildorf der Fellachen.
Schweigend hat sie dann sich dicht
Zu dem Fremden hingekauert,
Der nicht ihre Sprache spricht
Und in leisem Heimweh trauert.
Und aus meinem Becher trinkt
Zum Bescheid sie nur ein Tröpfchen,
Und auf meine Kniee sinkt
Schlummerschwer ihr braunes Köpfchen.
Aus der Tasche nehm' ich sacht
Jenen Brief aus deutschen Gassen,
Den mir noch die Post gebracht,
Als wir Kairo jüngst verlassen.
"Tausend Grüße über See!
Geh uns nur nicht ganz verloren!
Hier liegt alles tief im Schnee
Und die Rosen sind erfroren.
Mieze Müller grüßt. Ich traf
Sie in Kälbles Bäckerlädchen..."
Und in meinem Schoß im Schlaf
Lächelt das Fellachenmädchen.
Ernste Beduinen rings
Betend sich gen Mekka neigen.
Fern am roten Stein der Sphinx
Will die Sonne niedersteigen - - -
... Steh' am Fester, spür' es kaum
Kalt durch alle Ritzen dringen,
Also schaukelt mich der Traum,
Den die ersten Flocken bringen.
Wie das Wetter faucht und fegt!
Nasse Stiefel, schmutz'ge Hosen - -
Und in meinem Herzen legt
Sich der Schnee auf letzte Rosen.
Rudolf
Presber . 1868 - 1935
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