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Rudolf Presber
Und
all' die Kränze ... . 1. Auflage 1911
Ein Abschiedsbrief
Bubi, du schläfst; schläfst lächelnd fest und tief -
Ich schleiche an dein Bettchen auf den Zehen
Und leg' dir unters Kissen diesen Brief -
Wann wirst du ihn mit wachen Augen sehen?
Vor deiner Jugend wird er lang' versteckt -
Sei fröhlich, Kind, sei glücklich mit den Blinden!
Dann kommt ein Tag ... dein Vater ist korrekt.
Der Brief an dich, er wird und muß dich finden.
Dein Vater spricht dann - und ein flammend Rot
Des Zornes schlägt ihm in die magern Wangen:
"Mein Sohn, wir logen. Mutter ist nicht tot;
Sie starb nur dir und mir - sie ist gegangen.
Und eh' sie floh in Nacht und Nebel, hat
Sie ausgesprengt ihr Gift bis auf die Neige -
Dein Name, Junge, steht auf diesem Blatt.
Es ist an dich, lies es, vergiß und schweige!"
So wird er sprechen, klar und abgemessen,
So wird er sprechen, ehrlich und - korrekt.
Auch meine Jugend hat er schon erschreckt
Mit diesem Wort vom Schweigen und Vergessen.
Und durch sein Wort wird's zittern: wie ich schlecht,
Wie undankbar ich und wie feig gewesen ...
O, Bubi, sprich nicht eilig: er hat Recht,
Eh' du dies Blatt und eh' du mehr gelesen;
Eh' du gehofft, gebangt hast und - geliebt,
Eh' scharf dein Herz die schlimmen Pfeile trafen;
Eh' du erfahren, daß es Rechte gibt,
Die nie das Netzwerk fing der Paragraphen.
Zerreiß ihn nicht, den Brief, in blindem Zorn,
Leg ihn zur Seit', bis wund vom Weh gerieben
Dein eigen Herz, dann lies ihn still von vorn.
Sprich: "Eine Mutter, meine, hat's geschrieben.
Sie schrieb in sternloser Novembernacht,
Derweil der Sturm das kleine Haus umrauschte;
Und zwischen diesen eil'gen Zeilen lauschte
Ihr wundes Herz, ob ich nicht aufgewacht.
Ob ich im Traum nicht rief, mit ihr zu spielen;
Ob meine Seele nicht ihr Seufzer traf -
Und lang' gedämmte letzte Tränen fielen,
Ein gift'ger Tau, in meinen Kinderschlaf.
Und während rings die Augen stolzer Sippen
Aus alten Bildern trotzten, kalt und hohl,
Rührt' sie die Stirne mir mit heißen Lippen:
Bubi, leb wohl!
Bubi, leb wohl! Entschlossen und befreit
Steig' ich zu Schiff noch diese Nacht im Hafen.
Dein erstes Zeugnis auf dem Stuhl zur Seit',
Im Arm den Säbel, bist du eingeschlafen.
Und während drauß' die Stürme mich umwehen
Und mich vom Abgrund trennt das schwanke Brett,
Wie Engel sollen meine Wünsche stehen
Allnächtlich hier an diesem Gitterbett.
Alltäglich streichelt dich mein heimlich Lieben
Und fleht für dich um Lebensmut und Kraft.
So bist du mein. Du wärst es nicht geblieben,
Wenn ich mich nicht zum Abschied aufgerafft.
Doch eh' ich mich zum letzten Gehen wende,
- Die stürm'sche Nacht war meine Gnadenfrist -
Leg' ich mein Urteil, Kind, in deine Hände;
Sprich es in Güte, wenn du mündig bist.
Beschmutzen will ich nicht, was ich zerbrochen;
Lobpreisen will ich nicht, was ich gewann.
Ich weiß, der Haß hat hart zu dir gesprochen:
"Sie ging davon mit einem fremden Mann!"
Nun denn, bei meiner Eltern heil'gem Schatten,
Bei öder Jahre still getragner Pein,
Ich war gemacht, das treuste Weib dem Gatten,
Dankbar die Mutter einem Sohn zu sein.
Ich hab' gefleht um großer Prüfung Wehe,
Um heißen Sturm des Leids hab' ich gefleht;
Doch diesen Trost der ewig kalten Ehe
Erträgt kein Herz, das noch in Blüte steht!
Das ärmste Weib im grob zerlumpten Kittel
Tauscht nicht mit mir und meines Herzens Fron,
Die ich des Gatten Ansehn, Rang und Titel
Als Schmuck empfing und einz'gen Liebeslohn.
Ach, meine Seele hungert nach Vertrauen,
Nach Liebe, Liebe, die mir Wunden schlug -
Ich war ihm eine unter schönen Frauen,
Die nach der Sitte seinen Namen trug.
"Korrekt" war alles, was er zugemessen,
Seit er, korrekt, im Frack stand am Altar;
Er hat mich nie gekannt und nie besessen,
Als ich schon Mutter seines Sohnes war.
Ja, seines Sohns. Du bist hindurch gegangen
Durch mich als Leben seines Lebens nur.
Wie bald auf deinen frischen Kinderwangen
Verwischt sich meiner letzten Küsse Spur!
Als er die kleine Seele mir entwunden,
Als ich gefühlt, wie wenig mein du bist,
Wie mich Natur betrog mit arger List,
Hatt' ich den Weg zur Freiheit auch gefunden.
Und ja denn, ja! Wahr ist es, was sie sagen,
Am Weg steht einer, der mich zu sich winkt,
Der meines Lebens späten Sommertagen
Die milde Sonne seiner Liebe bringt;
Der ganz umflossen ist von einem Licht,
Das ich in Nöten dunkler Jahre ahnte,
Der aus den rost'gen Ketten toter Pflicht
Willkommnen Leidensweg der Liebe bahnte ...
Ein frei Geständnis hab' ich abgelegt -
Dir, dir allein. Nicht andern bin ich's schuldig.
Und warten will ich demutsvoll, geduldig,
Ob mir die Stunde des Verzeihens schlägt.
Ob du, geadelt von der Liebe Schmerz,
Stille gebietest schmeichlerischen Schmähern
Und ahnend, wie in dieser Stund' mein Herz
Gelitten hat, sprichst zu den Pharisäern:
"Sie blieb ein Weib, ein Weib in Angst und Scham,
Das für der eignen Kühnheit Schande zeugte;
Blieb eine Mutter, als sie Abschied nahm
Und weinend sich auf meinen Schlummer beugte!"
Und wenn du mich ein ganzes Leben fliehst,
Und wie sie dir des Hasses Pfeile schärfen,
So du mich einst dort drüben wiedersiehst,
Wirst du den ersten Stein auf deine Mutter werfen?
Rudolf
Presber . 1868 - 1935
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