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Rudolf Presber
Und
all' die Kränze ... . 1. Auflage 1911
Genesung
Denk' ich an meine hellsten Tage,
Da Frühlingswunder mir geschah,
Hör' ich in sanftem Wellenschlage
Den leisen Gruß der Adria;
Schau' um die schimmernden Paläste
Sich legen der Lagunen Band,
Schau' eine Gondel, wie zum Feste
Geschmückt von einer kleinen Hand.
Und wo des Meeres Silberschleppe
Beleckt des Marmors Mittagsglut,
Lupft an der Piazettatreppe
Der Gondoliére seinen Hut.
Es liegt San Giorgo Maggiore,
Ein frommer Traum, so klar und nah -
Und munter lockt's zu meinem Ohre:
"Signor' ... Signore ... Góndola!?"
Ich lag zu Bett in Fieberträumen -
Der Puls ging rasch, der Atem schwer;
Da sah ich blaue Wellen schäumen
Und Wolken flattern drüber her.
Der Sonne Schild, das goldgezackte,
Versank; ein fahler Schein zerrann -
Und sieh, im stillen Rudertakte
Legt' eine schwarze Gondel an.
Den Schädel kahl, den Blick gebrochen,
Ein Rudrer stand, zur Fahrt bereit.
Es flatterte um weiße Knochen
Des Seemanns sturmzerfetztes Kleid.
Und lockend tönt' zu meinem Ohre,
Der ich das Schrecknis schaudernd sah,
Ein leises: "Gondola, Signore -
Signor' ... Signore ... Góndola!?"
Noch einmal durft' das Leben siegen,
Noch einmal durft' es anders sein;
Noch einmal bin ich nicht gestiegen
Ins Boot; noch ist das Ufer mein.
Noch einmal hab' ich mir erstritten
Mein Recht auf neues Morgenrot;
Noch einmal ist ins Nichts geglitten
Des starren Rudrers schwarzes Boot.
Doch hinter jenen Felsenmauern,
Die kein Lebend'ger noch erstieg,
Weiß ich den guten Fährmann lauern
Auf seine Stunde, seinen Sieg.
Dann widerhallt vom Wellenchore
Als letzte Gnade, die geschah,
Das Ruhewort im müden Ohre:
"Signor' ... Signore ... Góndola!?"
Rudolf
Presber . 1868 - 1935
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