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Rudolf Presber
Und
all' die Kränze ... . 1. Auflage 1911
Kindheitserinnerung
Ich hatt' eine Muhme, da ich noch klein war,
Die war so schüchtern und sprach nicht viel;
Doch alles was zierlich, knifflich und fein war,
Das richtet' sie mir zum Kinderspiel.
Gütig war sie und leise und fleißig,
Viele Worte machte sie nie;
Und nur mit ihrem zahmen Zeisig -
Hänschen hieß er - plauderte sie.
Sie saß bei der Lampe und schnitzte und klebte,
Hantierte behutsam mit Faden und Bast;
Das Holzpferd sprang und das Püppchen lebte,
Wenn es die Muhme bloß angefaßt.
Ein Pferdesattel, ein oft geflickter,
Ward wieder wie neu so wunderschön - - -
Finger, die flinker und geschickter,
Hab' ich mein Lebtag nicht mehr gesehn.
Und einmal - jetzt weiß ich's, es ging schon zu Ende,
Draußen im Garten lockte der Fink -
Und ihre guten müden Hände
Waren wie sonst nicht so sicher und flink.
Da hat sie dem kleinen Egoisten,
Der sich bittend nichts Böses gedacht,
Aus Garnspulen und Zigarrenkisten
Einen richtig rollenden Wagen gemacht.
Morgens starb sie; am Tag nach dem zahmen
Grünen Zeisig, der Hänschen hieß - - -
Als die Eltern vom Kirchhof kamen,
Rollte mein Wäglein über den Kies.
Ich ließ mir so manche Erfindung dienen
Und hab' mich in manche Karosse gesetzt;
Doch Autobusse und Flugmaschinen
Haben mich nie, wie das Wäglein, ergötzt.
Und in all dem Erfindungsplunder,
Den ich mit reifenden Augen geschaut,
Blieb mir das größte technische Wunder -
Das Wäglein, das mir die Muhme gebaut.
Wie lang' schon, daß sie hinausgetragen!
Auf ihre Züge besinn' ich mich kaum -
Doch manchmal rollt noch ihr kleiner Wagen
Auf leichten Rädern durch meinen Traum ...
Rudolf
Presber . 1868 - 1935
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