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Rudolf Presber
Und
all' die Kränze ... . 1. Auflage 1911
Ostermorgen
Die Sonne stieg. In frühen Stunden
Strich sie die langen Schatten hin.
Die Frauen haben das Grab gefunden -
Der liebe Herr war nicht darin.
Die Salben lagen nur und Linnen
Noch hinter abgewälztem Stein;
Kein toter Rabbi barg darinnen
Die Wunden seiner letzten Pein.
Doch dort - im leuchtenden Gewande,
Im Auge himmelsanften Gruß.
Schritt in die jungen Frühlingslande
Ein Gärtner hin auf nacktem Fuß,
So leidensblaß die schmalen Wangen,
Doch ob dem Haupte goldnen Glast -
Und alle Blütenknospen sprangen,
Wo er ein Zweiglein angefaßt.
Der Garten glüht in Morgenschöne,
Die Rose hat ein Wind bewegt,
Als er Maria Magdalene
Die Hand aufs blonde Haupt gelegt;
Als er ihr liebreich von der weißen,
Gebeugten Stirn die Locken strich
Und gütig fragte mit der leisen
Geliebten Stimme: "Kennst du mich?"
So schau ihn: mit den schlanken Händen
Des Leidens wundervollen Sohn -
Das ist im Kranze der Legenden
Die schönste Blume der Passion.
Das hob ihn über Hohn und Hassen,
Als ihn der Römer kreuz'gen hieß:
Er hat die Liebe nicht verlassen,
Weil ihn die Liebe nicht verließ.
Und was das Leben auch dir raubte,
Und was dein Herz im Abschied litt,
Vertraue, daß das Totgeglaubte
Im Garten dir entgegentritt;
Sei nur gewärtig teurer Schemen
Und andachtsvoll bereite dich,
Geliebte Stimme zu vernehmen,
Die sanft dir zuraunt: "Kennst du mich?"
Und wenn dein Herz in Hoffnung lodert,
So fühl des Glaubens Unterpfand:
Nichts ist begraben, nichts vermodert,
Was deine Liebe noch umspannt.
Und wenn im Triebe sproßt der Garten,
Den du in Ehrfurcht treu gepflegt,
Darfst du den Wandelnden erwarten,
Der auf die Stirn die Hand dir legt.
Rudolf
Presber . 1868 - 1935
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