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Und all' die Kränze ...
162 Bücher



Rudolf Presber
Und all' die Kränze ... . 1. Auflage 1911



Pilgerfahrt

Ein müder alter Wandersmann,
Noch vom Staube bedeckt, kam im Himmel an.

Und zitternd stand er in Reu' und Scham,
Als strahlend der Herr ihm vorüber kam.

Er sank in die Knie. Die Lippen kaum
Berührten des Mantels Sternensaum.

Und sprachen geblendet vom heiligen Schein:
"Ich bin nicht würdig, hier oben zu sein!"

Da blitzte der Herr den Wandersmann
Mit seinen ewigen Augen an:

"Gebückt ist dein Gang, dein Haar erblich -
Und welcher Sünden zeihst du dich?"

Da beugte der Alte tief sein Haupt:
"Als Kind hab' ich an dich geglaubt;

Doch, ach, es lockten der Freuden so viel,
Das Beten vergaß ich über dem Spiel.

An irdischem Glanze hing mein Sinn;
Ich trug die Schleppe der Königin.

Und sah sie mich an nur milden Gesichts,
So wußt' ich von dir und dem Himmel nichts!"

Da lächelt' der Herrgott und sprach gelind:
"War das deine Sünde? Du warst ein Kind."

"O schlimmer, o schlimmer," der Alte sprach.
"Ich jagte irdischen Ehren nach.

Ich träumte von Siegen im Waffengang,
Von Feinden, die ich niederzwang.

Ich tauscht' um Gefahren mein friedliches Haus
Und streckte nach Weibern die Arme aus."

Da lächelt' der Herrgott: "Ich wärmt' euch das Blut
Und straf' nicht als Sünde der Jugend Glut."

"O schlimmer, o schlimmer," der Alte weint,
"Ich hab' mich gesetzt zum Herren gemeint;

Sah übermütig von tänzelndem Roß
Auf all den keuchend sich mühenden Troß.

Glaubt', Ruhen sei Schande und Dienen sei Schmach,
Und schwang die Fahne und rief: Mir nach!"

Der Herrgott sprach freundlich: "Was klagst du dich an?
Ich gab dir die Kraft. Du wurdest ein Mann!"

Da hob der Kniende schüchtern sein Haupt:
"Und wieder hab' an dich geglaubt.

Ich las im Dämmer Dein heiliges Wort
Und stellte schaudernd die Waffen fort.

Und schalt der Brüder Lebensgier
Und lehrte sie beten und sprach von dir.

Zog aus die Ehre, verleugnet den Ruhm,
Verteilte reulos mein Eigentum.

Und büßte, den Blick auf das offene Grab,
Was ich in Freveln gesündigt hab'."

Da sprach der Herr: "Dein Haar ward weiß,
Du fühltest den Schnitter, du wurdest ein Greis.

Kein Sünder, kein Heil'ger, kein Sonderling
Bist du gewesen. Des Lebens Ring

Schloß sich in Trotzen, Stolz und Scham,
Eh' deine Seele zu mir kam.

Dein Tag war leicht, dein Abend war schwer -
Du warst ein Mensch, mein Freund. Nicht mehr.

Und menschlich, wie ich's wollt' und gab,
Dein Weg bergauf, dein Weg bergab:

Durch Füll' und Not, Verzicht und Gier,
Dein Weg zur Welt, - dein Weg zu mir."


  Rudolf Presber . 1868 - 1935






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