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Rudolf Presber
Und
all' die Kränze ... . 1. Auflage 1911
Prophezeiung
Ich will euch prophezeien,
Was ihr gewiß nicht wißt:
Wenn jung der Lenz im Maien
Lichtgrüne Fahnen hißt,
Wenn munter schrein die Spatzen:
Die Welt ist wunderschön,
Und wenn die Bächlein schwatzen
Von eisbefreiten Höhn,
Und wenn durch Wolkenfetzen
Der Mond lugt listig für,
Wird sich die Liese setzen
Aufs Bänkchen vor der Tür.
Es sollt' mich baß erstaunen,
Wenn es dann anders wär':
Der Hans kommt mit den Braunen
Des Wegs von ungefähr.
Er tränkt am Trog die Pferde -
Die Liese stellt sich taub,
Ihr Blick sucht an der Erde.
Der Hans sagt: Mit Verlaub!
Er setzt sich ihr zur Seite,
Sie ist das schon gewohnt,
Und schweigend starren beide
Dann sinnend in den Mond.
Ich will euch nicht belügen,
Doch meld' ich euch verschmitzt:
Es ist ein groß Vergnügen,
Wenn man zu zweien sitzt.
Man braucht kein Wort zu sagen,
's ist nicht des Landes Brauch,
Man hört die Herzen schlagen
Und man versteht sich auch.
Was soll der Kopf sich mühen,
Daß Wunders was geschicht,
Der Mond und rings das Blühen
Tun heimlich ihre Pflicht.
Und laßt euch prophezeien:
Wenn so ein Jahr entglitt,
Dann sitzen sie zu dreien,
Dann schweigen sie zu dritt.
Vom Frühlingsparadiese
Strömt leise Duft und Glanz,
Der Hans sitzt bei der Liese,
Die Liese sitzt beim Hans.
Der Hans raucht lange Züge,
Die Liese gibt fein acht
Auf eine kleine Wiege,
In der ein Hänslein lacht.
Der Kleine in den Kissen
Reißt groß die Augen auf -
Und Mai und Mond, die wissen,
So ist der Dinge Lauf.
Sie wissen und sie lauern,
So muß das halt geschehn,
Wo an umrankten Mauern
Die grünen Bänke stehn.
So war's in Erdenfrühen,
So läßt sich's prophezei'n,
Wird's, wenn die Linden blühen,
In alle Zukunft sein.
Rudolf
Presber . 1868 - 1935
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