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Rudolf Presber
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in vita . 1. Auflage 1902
Sehnsucht
Ich sehne mich - und weiß doch nicht nach was;
An meinem Herzen nagt's ohn' Unterlaß.
Ich steh' im Licht des Glückes, wo ich bin,
Und sehne mich - und weiß doch nicht - wohin.
Ich trat der Lande viel mit flücht'gem Schuh,
Und meine Seele flog der Ferne zu.
Ging ich im Tale über Blumen noch,
War schon mein Herz auf kahler Berge Joch.
Erstieg ich das Gebirg in Sturm und Qual,
Lag schon mein Herz vor mir im Blütental.
Wie fuhr ich gern wohl durch die ganze Welt,
Schlief bald im Norden im bereiften Zelt;
Bald spannte sich des Südens Sternenpracht
In freier Kuppel über laue Nacht.
Schlaflos am Quellchen unterm Dattelbaum
Träumt' ich der Wüste Pharaonentraum...
Doch wenn ich's denke, mich die Angst befällt:
Ich fahr' und fahr' um eine ganze Welt;
Und kehrt' ich heim, gebräunt und mit Gewinn,
Ich sehnte mich und wüßte nicht - wohin.
Und doch vielleicht ist just mein Menschenwert
Die Sehnsucht nur, die immer heimbegehrt.
Die mir die Lust zu stetem Wandern schürt,
Und wenn ich säume, mir das Bündel schnürt.
Die, wenn ich heiß um Rast und Ruhe bat,
Zum Mahl mir oft und Liebeslager trat,
Die allen Taumel übertönend spricht:
Du bist ein Fremdling, und hier wohnst du nicht.
Wenn sich dein Leib an Mutter Erde schmiegt,
Dann weiß dein Herz, wo seine Heimat liegt.
In kleinem Haus, gefürchtet, doch so lieb,
Ruht deine Sehnsucht, schläft dein Wandertrieb.
Rudolf
Presber . 1868 - 1935
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