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Spuren im Sande
162 Bücher



Rudolf Presber
Spuren im Sande . 1. Auflage 1906



Aus der Kindheit

Die Kinder von heute, die Kinder von heute,
Die sind so klug schon, die sind so gescheute;
Es genügt nicht, daß man sie pflegt und liebt,
Den hungernden Mäulchen ihr Süppchen gibt,
Des Abends ihnen die Händchen faltet -
Das ist überholt längst, das ist veraltet.
Eh' ihr Herzchen noch deutsch empfunden,
Haben sie schon französische Stunden.
Jauchzen die Lust und klagen ihr Weh
In der Sprache der Madame Sévigné.
Kommt zu Besuch ein englischer Lord,
Finden sie auch schon das rechte Wort;
Knicksen und lächeln und sprechen dazu:
My dear Mylord, how do you do?
Machen sich schon mit den Moden zu schaffen.
Darwin entschuldigt's: wir waren 'mal Affen
Und sind recht was anderes nie,
Als der Großen verzwickte Kopie.

Ich - ich hatt' keine englische Bonne,
Keine französische Mademoiselle.
Meine Kindheit war voll von Sonne,
Deutscher Sonne, so warm und hell.
Meiner Pflegerin harte Hände
(Manchmal streicheln sie mich noch im Traum)
Blätterten nicht durch Zola-Bände,
Und den Maupassant kannte sie kaum.
Abends las sie mir Märchen von Grimm,
Eh' ich fröhlich ins Bett gekrochen.
War ich 'mal gar zu wild und schlimm,
Hat sie auch gründlich deutsch gesprochen.
Wenn die Weihnacht winkte von ferne,
Dann nur hatte sie keine Zeit:
Mandelbrötchen und Zimmetsterne
Buk sie in aller Heimlichkeit.
Habe später bei Grafen, Baronen
Und bei Nabobs nichts geschleckt,
Was so himmlisch nach Zitronen
Und nach geriebenen Mandeln geschmeckt.
Sie lehrte mich lachen, sie lehrte mich tanzen,
Bloß so ein Ländler schlecht und recht;
Machte den neuen Seehundsranzen
Mir für den ersten Schulgang zurecht.
Als dann kamen die faden Faxen,
Latein und Französisch und alte Geschicht',
Bin ich ihr ganz sachte entwachsen - -
Aber glücklicher war ich nicht.
Sind der Jährchen wahrhaft bald dreißig! -
Steht ein neues Jahr vor der Tür,
Unter den Glückwunschbriefen, das weißlich,
Liegt ein Kritzelkärtchen von ihr.
Weiß verschneit sind längst ihre Haare
Und der Rücken so grad' nicht mehr,
Aber zum Schreibwerk, wie all die Jahre,
Rückt sie sich noch ihr Tischchen her.
Schreibt bedächtig mit wichtiger Miene,
Sauber und freundlich, wie stets ich sie fand - -
Für die andern die Schreibmaschine,
Ihr ein Dank mit der eigenen Hand!


  Rudolf Presber . 1868 - 1935






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