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Rudolf Presber
Spuren
im Sande . 1. Auflage 1906
Die liebe Lenz-Legende
Das ist der Lenz so jung und schön:
Der Himmel blau und wolkenlos,
So hell der Vögel Lustgetön
Und grün der jungen Erde Schoß;
Und Rosenknospen am Spalier,
Und mit den Knospen springt das Herz - -
Aus Nizza schreibt's die Kleine mir.
Bei uns? ... Mein Gott, wir schreiben "März"!
Die Birken schütten leichtes Grün
Auf frühlingsfrisches Wiesenland.
Vergißmeinnicht und Krokus blühn,
Und junges Volk geht Hand in Hand.
Und an des Waldes moos'gem Saum
Lacht bunt der Anemonen Strauß - -
Im Schlaf natürlich, bloß im Traum;
Die Wirklichkeit sieht anders aus!
Ich zähle drei Grad Reaumur,
Am Himmel Wolken - halbe Nacht.
Es singt das Fräulein über mir:
"Die linden Lüfte sind erwacht ..."
Am Eckstand dort die Blumenfrau
Hält tapfer Veilchen in den Wind,
Bis ihre Hände fast so blau
Vor Frost wie ihre Veilchen sind.
Der Lenz, so scheint's, wird matt und krank,
Wenn er in Deutschland betteln geht;
Ein Segen, daß er - Gott sei Dank! -
Im Meyer noch und Brockhaus steht.
So wird sein freundlich Wesen klar
Auch unsereinem, der am End'
Schon seinen Segen manches Jahr
Allein aus - Influenzen kennt.
Und wie ein Alter, lahm und taub,
Der Jugend wird gezeigt: "Ja der,
Der sah den Blücher noch bei Taub,
Respekt! wie ist das lange her ..."
So hinkt demnächst gewiß durchs Land,
Bestaunt von allem Volk, ein Greis,
Der hat den Frühling noch gekannt,
Von dem sonst keiner mehr was weiß.
Rudolf
Presber . 1868 - 1935
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