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Rudolf Presber
Spuren
im Sande . 1. Auflage 1906
Ein Brief
Verehrte Frau! Ein schmeichelhafter Brief
Trägt ein Geständnis mir aus Ihren Weihestunden.
Was je ein Dichter schrieb, Sie haben's tief,
Schon jung an Jahren, dankbar mitempfunden.
Kein noch so maienfrischer Blütenstrauß,
Mit dem ein Sängerfrühling je beglückt war,
Der nicht, so scheint's, just hinter Ihrem Haus
Und unter Ihren Augen gar gepflückt war.
Und jede Geige, die im Mondschein sang,
Und jedes Hifthorn, das die Frühe grüßte,
Und jede Flöte, die den Schmerz versüßte,
Gab sie nicht Ihres Herzens Wiederklang?
Und was im Zorn gehadert ein Genie,
Was ein Talent in zarte Töne hexte,
War das nicht alles nur die Melodie
Zu dem von Ihnen mitgelebten Texte?
Für jedes Menschenleid und jede Lust,
Für allen Trotz, den Hohn und Hader lösen,
Schlief längst ein Echo treu in Ihrer Brust -
Ein Echo bloß?...Ist es nicht mehr gewesen?
War's eine Seele nur? ein lauschend Ohr,
Das durstig all die Lieder trinken wollte?
War's eine Stimme nicht, die in den Chor
Mit eigner Kraft sich tönend mischen sollte?
Ja, ja, die Pflicht! Das fing mit Liebe an.
Es floh der Lenz, der frohe Blumenbinder;
Es kam die Angst um den geliebten Mann,
Das Haus, die Not, die Arbeit - und die Kinder.
Sie haben's ehrlich, tapfer, kleine Frau,
Ganz ohne Winkelzug mir aufgeschrieben.
Als erste? Nein! Oft las ich's so. Genau.
Auch mit dem Schluß: "Man muß das Leben lieben..."
Ein schöner Brief. Ein freundlich Angesicht
Mit guten Augen, lächelnd aus den Zeilen.
Im Lesen schauend möcht' ich lang verweilen.
Der Brief ist Prosa zwar - und doch Gedicht;
Ein schlicht', doch hohes Lied der Gattentreue,
Der Mutterliebe, die sich sorgt und bangt,
Die streut, wie Fortunat, und nichts verlangt;
Die arm sich schenkt und lächelt ohne Reue...
O, schlösse hier der Brief mit knappem Gruß,
Er füllte mir das Herz mit Melodieen -
Doch, Gnädigste, jetzt kommt der Pferdefuß!
Postskriptum: "Ein'ge kleine Poesieen..."
Und aus dem Herzen flutet schon das Blut,
Die heiße Dankbarkeit verkühlt im Lesen,
Verehrte Frau, die Verse - sind nicht gut;
Und ihre Prosa ist so schön gewesen!
Muß das denn wirklich, muß das aus der Kehle,
Was keusch und wortlos in den Tiefen brennt?
Ganz unmodern: mir ist die Frauenseele
Noch heut des Dichters heilig Instrument.
Und ob's die Enkel anders sich erklügeln,
Ich hab' dem Lied kein beßres Los gewußt,
Als sanftes Echo hinter weißen Hügeln
Der leiderprobten edlen Frauenbrust.
Als Antwort nahm ich frohes Augenwinken,
Ein Wangenflammen dankerhitzter Scham;
Doch ließ ich Mut und alle Hoffnung sinken,
Wenn mir der Gegengruß...in Rhythmen kam.
Aus Wort und Reim mag sich der Mann gestalten,
Was je sein Aug' in Tag und Traum gesehn,
Das Frauenherz soll wortlos sich entfalten
Und blumengleich im Erdengarten stehn...
Nun blitzt Ihr Zorn - und ich werd's büßen müssen.
"Altmodischer, gleich widerrufst du!" - Nie.
Wenn Sie heut abend Ihre Kinder küssen,
Verehrte Frau, das ist mir Poesie;
Wenn Sie den Gatten, den die Sorgen hetzen,
Mit Händedruck nur grüßen und sich schlicht
Und ohne Zieren an den Flügel setzen
Und Mozart spielen, das ist ein Gedicht.
Und wenn Sie einst an einem Bette sitzen,
Darin Ihr Glück und all Ihr Hoffen liegt,
Und mutvoll trösten noch mit Augenblitzen,
Derweil Ihr Herz im Abschiedsweh sich biegt;
Wenn Ihre Finger noch dem Fieberkalten
In zarter Sorgfalt scheuchen letztes Leid
Und über Blumen ihm die Hände falten -
Das ist die Hymne der Unsterblichkeit!
Und drum, verehrte Frau, sei mir verziehen,
Was ich an Ketzerei im Herzen heg',
Und wenn ich heut die "kleinen Poesieen"
Danklos zurück in Ihre Hände leg'.
Und wenn Ihr Zorn mir neue Verse schriebe -
Vom selben Weinberg kommt derselbe Wein.
Ein edles Weib bleibt ein Genie der Liebe,
Warum ein Dilettant der Dichtung sein?...
Wenn Sie am Schreibtisch diesen Brief erbrechen,
Gewiß, Sie zürnen. Sei's drum! Die Gefahr
Will ich bestehn. Man zählt nicht zu den Frechen
Und ist nicht grausam, weil man ehrlich war.
Wenn Sie heut abend Ihre Kinder küssen,
Weicht solche Kränkung leicht aus Ihrem Sinn;
Dann sollen Sie aus treuem Herzen wissen,
Daß ich mit Handkuß ganz der Ihre bin.
Rudolf
Presber . 1868 - 1935
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