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Gedichte, Lyrik, Poesie

Spuren im Sande
162 Bücher



Rudolf Presber
Spuren im Sande . 1. Auflage 1906



Ein Wiedersehen

In Indien legt die Gattin, wenn der Mann
Auf Reisen fuhr, nicht Ring noch Spangen an.
Und ungeschmückt läßt sie und unbedeckt
Ihr dunkles Haar, im Knoten aufgesteckt,
Bis ihr des Heimgekehrten sanfte Hand
Den Gürtel löst und ihrer Locken Band ...

Du meiner Jugend lieblichstes Gespiel,
Fremd ist dein Wuchs, fremdartig dein Profil.
Wir nannten einst dich, lachend dich zu necken,
Die "Indierin" bei Haschen und Verstecken.
Und als vom Spiel erhitzt ein kecker Bub
Den Mund ins Dunkel deiner Locken grub,
Hat ihm ein heißer Duft das Herz entfacht,
Wie von des Ganges heller Blütenpracht.
Und du erschienst dem aufgeweckten Sinn
Wie Indras auserwählte Dienerin.

Wie liegt das weit! ... Ein stolzer Kaufherr sei
Dein Mann. Ich hört's. Verreist, wie stets im Mai.
Reich - das ist gut. Doch leberkrank - wie schad'.
Er badet, sagst du, in Marienbad.
Der Zufall führt im Schauspiel-Korridor
Zusammen uns, und - kam dir's auch so vor? -
Wir standen, du in Seide, ich befrackt,
Und plauderten den ganzen Zwischenakt
Von Blumen, Lauben, Haschen, Kinderglück -
Nur nicht von heut und jetzt. Und nicht vom Stück.
In meiner knoch'gen Hand die sammetweichen
Und schlanken Finger - da, ein Glockenzeichen.
Und lächelnd trittst du in die Logentür:
"Und morgen - morgen speisen Sie bei mir?"

Ich hab' gespeist - ich denke Spargelsuppe.
Vor mir die Meißner Amorettengruppe,
Die rote Röschen sich um Stirn und Hals
Gewunden hat und Pfeffer trägt und Salz.
Geräuschlos bot der alte Diener an.
War es ein Rheinsalm oder ein Fasan,
Ich weiß nicht mehr - Nur immer niedertauchen
Ließ ich den Blick in deine Mandelaugen.
Sah dies Profil, fremdartig und voll Stolz,
Die dunkle, glatte Haut wie Ebenholz -
Und plötzlich lüstet's mich, wie einst den Knaben,
Den Mund in dieses dunkle Haar zu graben;
Gut, daß der Diener beugte sich und goß
Und flüsterte: "Johannisberger Schloß."

An dunklen großen Wänden Bild bei Bild,
Gemalte Früchte, Blumenkörbe, Wild.
Hoch über Truhn und Schnitzwerk alte Waffen,
Vom Estrich blinken herrliche Karaffen;
Und jeden Laut von Markt und Straßen wehren
Die Seidenfalten persischer Portiéren.
Der herbe Sekt spritzt Blut in deine Wangen.
Wir sind beim Obst, der Diener ist gegangen.
Du nimmst mit Lächeln, sorgsam ausgesucht,
Vom Silberteller eine reife Frucht.
Und während schweigend, lächelnd sich vermählen
Zwei Augenpaare, sprichst du: "Darf ich schälen?"

Ich denk' des Bildes, tausendmal gemalt:
Der Sünde, so der Menschheit Ahn bezahlt
Mit Schweiß und Arbeit, der als Ziel zuletzt
Ein ew'ges Ruhn im Erdenbett gesetzt.
Und trüg' ein Gott mir diese Stunde nach
Und schlüg' der Enkel Enkel noch mit Schmach,
Weil ich des Glückes einz'ge Gunst erhascht
Und des verbotnen Baumes Frucht genascht,
Ich griffe glückverführt und zukunftsblind
Die Frucht und dankte: "Wie Sie gütig sind."

So wirbelt's mir durch Hirn und Herz. Zur Seite
Rück' ich den Sessel plötzlich dir und breite
Die Arme aus. Du aber windest dich
Aus solcher Fessel sanft, doch königlich
Und sprichst: "Du hast mich schon als Kind gekannt
Und weißt du noch, wie ihr mich oft genannt?
Im dunklen Kinderwort ein heller Sinn,
Der eine Heimat wies: die Indierin.
Nun, so versteh's, daß sich mein Leben richtet
Nach einer Heimat, die du selbst gedichtet,
Von der kein Zufall, nein, ein Schicksal wohl
Mir Wuchs und Antlitz mitgab als Symbol.
In Indien legt die Gattin, wenn der Mann
Auf Reisen fuhr, nicht Ring noch Spangen an.
Und ungeschmückt läßt sie und unbedeckt
Ihr dunkles Haar im Knoten aufgesteckt,
Bis ihr des Heimgekehrten sanfte Hand
Den Gürtel löst und ihrer Locken Band."

Schon meldet sich der Widerspruch in mir,
Der Cyniker, der Dichter und - das Tier.
Ich wollt' ins Ohr mit des Versuchers Kraft
Dir leise flüstern Hohn und Leidenschaft:
Verehrte Frau, der schöne Brauch ist indisch,
Ihn zu verpflanzen wäre mehr als kindisch.
Die Sitten stehen dort, wo sie gewachsen,
Gut zu Gesicht, im Ausland werden's Faxen.
Die Stunde nicht zu nützen wäre schad',
Weit liegt der Ganges und - Marienbad.

Ich wollte - wollt' - - und schaut' in dein Gesicht.
Das war des Weibes herbe Würde nicht;
Das war das Kind, mit dem im Grünen tief
Der Knabe hinter bunten Faltern lief,
Der toten Jugend liebliches Gespiel,
Das lachend, wunschlos in den Arm mir fiel.
Und jetzt - und jetzt erst wurd' ich's auch gewahr:
Schmucklos zum Knoten aufgesteckt das Haar,
Nicht Stein noch Perle dir vom Halse floß
Und an dem Gürtel nur ein stählern Schloß,
Die schmale Hand ganz ohne Stein und Ring -
Da küßt' ich deine liebe Hand und ging.


  Rudolf Presber . 1868 - 1935






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