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Rudolf Presber
Spuren
im Sande . 1. Auflage 1906
In der Nacht
Ich saß am Tisch, versenkt in ernstes Denken,
Und vor mir stand, noch unberührt, das Mahl.
Nachtstille rings. Nur in den alten Schränken
Der Holzwurm tickt. Die Lampen brennen fahl.
Kein Menschenwort, kein Atem zu erlauschen.
Die Straße ruhig. Verschlossen jedes Tor.
Nur meines Blutes heiße Ströme rauschen
Mir wunderliche Melodie ins Ohr.
Da plötzlich war's, als ob ein Duft mir rühre,
Ein unvergeßner Fliederduft, den Sinn;
Als ob ich schauernd deine Nähe spüre,
Du Langentbehrte, und so sah ich hin.
O Gott, da stand'st du, Blüte toter Jahre,
Im guten Aug' den veilchenhellen Glanz,
Lächelnd und blaß, vom Schmuck der goldnen Haare
Umrahmt, wie eine Heil'ge aus Byzanz.
Nicht fragt' ich dich: wie kamst du hergeschritten
Lautlos so spät durch das verschloßne Haus?
Ich las von deinem Mund: "Ich hab' gelitten -"
Und breitet' weinend meine Arme aus.
Du aber hobst in banger Scheu die blasse,
Die kinderschlanke Hand und wehrtest mir,
Daß ich dich stürmisch nicht, wie einst, umfasse,
Den oft geküßten Mund dir nicht berühr'.
Du nahmst ein Brot, die Hälfte mir zu reichen,
Wie einst in Tagen fern und wonnevoll;
Und wortlos winkend gabst du mir ein Zeichen,
Daß ich aus deinen Fingern essen soll.
Du hobst den Kelch und nipptest dran, und beben
Sah ich die Lippe, rot vom Wein benetzt,
Als du das Blut aus unsrer Heimat Reben,
Bescheid zu tun, an meinen Mund gesetzt.
Dann streiftest du in einem flücht'gen Kusse
Mir leis die Augen, fast von Tränen blind,
Und wie ein Nebel Morgens überm Flusse
Im ersten Strahl des jungen Tags zerrinnt,
Entfloß dein Bild in leichten Silberwellen
Vor meinem Blick im fahlen Morgenschein -
Und deiner Jugend heimlichen Gesellen
Ließt grausam du zum zweitenmal allein.
Doch eh' dein süßes Köpfchen ganz verschwommen,
Regt' sich der Lippen wundervolles Paar,
Von dem ich jubelnd tausendmal vernommen,
Was meines Lenzes holder Inhalt war.
"Leb wohl, Geliebter!" kam es leis vom Munde,
Leis, wie ein welkes Blatt zu Boden fällt -
Ich aber fühlt's: Du gingst in dieser Stunde
Fern, unsrer Liebe denkend, aus der Welt ...
Rudolf
Presber . 1868 - 1935
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