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Rudolf Presber
Spuren
im Sande . 1. Auflage 1906
Narzissen
Mir wird so bang bei deinen Küssen,
Bei deiner Blicke zagem Flehn -
Ich habe blühende Narzissen
Im Traum um deine Stirn gesehn.
Von deiner Kinder Schmerz umjammert,
Starrtst du mich an gebrochnen Blicks,
Die Hände, weiß und kalt, geklammert
Um ein geschnitztes Kruzifix.
Seit ich aus deinen blassen Zügen
Im Traume las die tote Lust,
Fühl' ich auf meinen Lippen liegen
Das Gift, an dem du sterben mußt;
Seh' ich von allen guten Engeln
Verlassen uns; und abschiedsstill
Hör' ich den Tod die Sense dengeln,
Die unsre Freuden mähen will.
Ein Fürst in stummer Schattengröße,
Noch nicht erkannt im Maskenschwarm,
Steht hinter dir. Und schweigend löse
Von deinem Nacken ich den Arm.
O laß mich, Liebste, fliehn und frage
Mich nimmer, was mich treibt von hier;
Sieh, deines Lebens letzte Tage,
Ich weiß, gehören nicht mehr mir.
Wenn leuchtend hell von ew'gen Firnen
Das Frührot dich des Friedens grüßt,
Und küssend deiner Kinder Stirnen
Geblendet du die Augen schließt;
Wenn du ins Ohr erschreckter Knaben
Noch hauchst: "Gedeiht dem Vater nach!"
Dann sollst du mich vergessen haben
Und unsrer Sünden Lust und Schmach.
Dann sei getilgt das letzte Sehnen,
Das lockend uns im Lenz geeint,
Und ausgelöscht die Spur der Tränen,
Die du beim Blätterfall geweint;
Dann sollst du ruhen in den Kissen
So rein, wie treue Mütter gehn - -
Ich habe blühende Narzissen
Im Traum um deine Stirn gesehn.
Rudolf
Presber . 1868 - 1935
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