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Rudolf Presber
Spuren
im Sande . 1. Auflage 1906
Seht, das ist ein Menschenleben -
Gestern ging ich still am späten
Abend sinnend aus dem Tor,
Auf den Telegraphendrähten
Saß ein ems'ger Zwitscherchor;
Unsre Funkenstraße nutzend
Zur Beratung wicht'ger Art,
Fröhlich das Gefieder putzend -
Schwalben vor der Wanderfahrt.
Hoch in Lüften eine Wolke
Rötlich schimmernd schwamm und schwebt',
Lockend, daß zu ihrem Volke
Sich der Säum'gen Schar erhebt;
Daß sie über Stadt und Türme,
Ihren Abschied zwitschernd, kreist,
Und des Winters rauhe Stürme
Fliehend, nach dem Süden reist.
Unser Sommer ging zur Rüste.
Als ihr kamt - wie war es doch?
Eine liebe Stimme grüßte
Damals eure Einkehr noch.
Heute schläft sie bei den Toten
In der Heimat trautem Tal;
Ihres Frühlings liebste Boten
Grüß' ich euch zum letztenmal.
Schütz' euch Gott in Wolkenwogen!
Als in Blüten stand der Hag,
Habt ihr fröhlich sie umflogen
Manchen hellen Sommertag,
Habt mit ersten Sonnenscheines
Strahl die junge Welt belebt,
Habt an ihrer Zuflucht kleines
Häuschen euer Nest geklebt.
Euren Stimmen wird sie lauschen
Nimmermehr im Garten hier,
Ach, sie konnt' die Heimat tauschen
Nicht so leichten Sinns wie ihr;
Und kein Lied mehr, das sie fände!
Fern der Erde Sehnsuchtsqual
Küss' ich ihre guten Hände
Nur im Traum noch manches Mal.
Lächelnd decken schon die falben
Blätter einer Müden Ruh'.
Fliegt gen Süden, kleine Schwalben,
Eurem neuen Frühling zu.
Seht, das ist ein Menschenleben:
Unser Herz geht ein und aus,
Wo die leeren Nester kleben
An dem leergewordnen Haus ...
Rudolf
Presber . 1868 - 1935
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