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Rudolf Presber
Spuren
im Sande . 1. Auflage 1906
Sie nennen dich Frau
Sie nennen dich Frau und Gnäd'ge sogar,
Dein Mann trägt Titel und Orden;
Ein heimlich Silber flimmert im Haar - -
In meinem Herzen bist du fürwahr
Nicht gnädig noch alt geworden.
Wie leiser Frühlingsglocken Schwung
Tönt mir's bei deinem Namen;
Und leuchtende Erinnerung
Malt mir ein Bild, so jung, so jung,
In blühender Veilchen Rahmen.
Frühmorgens im Park ein Stelldichein,
Der Maiwind wiegte die Rosen -
Und Abends weint' ich beim Lampenschein
Viel Tränen in ein Schulbuch hinein,
Des Ovidius "Metamorphosen".
O ihr Tage so fern, o ihr Tage so hell,
Was ist mir seitdem geschehen -
Was war ich ein frischer, ein trotz'ger Gesell,
Den deine züchtige Mademoisell'
Freilich nicht gerne gesehen ...
Heut bricht an den Schläfen das Silber aus,
Heut red' ich von Ruhe und Tugend;
Doch manchmal, wenn alles so still im Haus,
Dann streck' ich heimlich die Arme aus
Nach deiner blühenden Jugend.
Erschrick nicht, Liebste, es ist nicht Gefahr,
Ich bin so verständig geworden.
Das deckt ja der Herbst schon von manchem Jahr -
Sie nennen dich Frau und Gnäd'ge sogar,
Und dein Mann hat Titel und Orden.
Rudolf
Presber . 1868 - 1935
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