Umschau und Einkehr

Meine Freunde - ach, so nenn' ich viele,
Wünsch' ich ihnen zum Geburtstag Glück -
Ja, wir strebten nach demselben Ziele;
Das liegt leider ziemlich weit zurück.

Streiften so am Neckar durch die Tale
Immer disputierend zwei zu zwein;
Denn wir hatten nämlich Ideale
Und begossen sie mit Pfälzer Wein.

Doch voll Achtung waren wir im Wandern
Und Verkleinerung war nie bezweckt;
Einer glaubte damals noch dem andern,
Daß ein Klassiker in ihm versteckt.

Heute mahnt uns an die Pfälzer Jahre
Nur zur Sonnenwende noch der Durscht,
Und wie ich gegebnenfalls erfahre:
Sie sind mir und ich bin ihnen wurscht.

Eine Freude könnt' ich ihnen machen;
Nämlich: wenn mich heut der Teufel frißt,
Werden plötzlich meine ältsten Sachen
Aufgebügelt mit Reporterlist.

Und es heißt: Er starb an einer Seuche,
Davor rettet keiner Muse Kuß;
Und jetzt ist er eine schöne Leiche,
Die auf ewig stille liegen muß.

Und wir kannten ihn in jenen Tagen,
Da er bei sich oft Gedichte zwar,
Doch auch bunte Schlipse hat getragen
Und auch sonst noch eine Hoffnung war.

Und wir stehn im Gras - wenn es nicht regnet, -
Den Zylinder wär' er uns nicht wert -
Wenn der Priester sein Gebeine segnet
Und der Kasten in die Grube fährt.

Auch ein Mägdlein wird am Grab erscheinen,
Mit dem Tüchlein hüllend ihr Gesicht,
Und der junge Busen bebt vor Weinen -
Das gibt Stimmung für den Festbericht.

Unter den durch frommen Trost Gestärkten
Schreiten wir zum Frühstück, wie's gebührt,
Unsre Namen stehn bei den "Bemerkten"
Fett in dem Lokalen aufgeführt.

Und der Morgen ist nicht ganz verloren,
Weil man nach dem langen öden Stehn
Sich mit ein'gen Honoratioren
Noch befreundet beim Nachhausegehn.

Und man liest gedruckt im Abendblatte
Alles, alles: Kränze, Predigt, Chor
Und was Schulze an dem Dichter hatte,
Und was Lehmanns Frau an ihm verlor.


  Rudolf Presber . 1868 - 1935

Expressionisten
Dichter abc