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Anna Ritter
Befreiung
. 1. Auflage 1900
Um Mitternacht
Die Lampe schwält, als wollte sie verglimmen,
Es ist wohl spät! Der Abend ging mir hin
Ohn', daß ich's merkte; lange schläft das Städtchen.
Nur gegenüber, bei der Schneiderin,
Hör' ich noch der Maschine surrend Rädchen -
Sie nähen lang, die beiden blassen Mädchen.
Vor meinem Fenster klingen feine Stimmen,
Der Nachtwind ist's, der durch die Straßen zieht!
Mit allen Häusern hat er was zu plauschen,
Mich lockt es auch, das träumerische Lied -
Ich steck' den Kopf hinaus, um still zu lauschen,
Was mir der Wind, was mir die Gassen rauschen.
Und nun genug! Verklärte Wölkchen schwimmen
Am Himmel hin; der Hauch des Abends schwellt
Ihr weißes Segel, daß sie sacht entgleiten.
Wie ruhst du nun, entschlafne Alltagswelt,
Erlöst von dieses Tages Lärm und Streiten
So feierlich im Schooß der Ewigkeiten!
Anna
Ritter . 1865 - 1921
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