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Theodor Däubler
Das
Sternenkind . 1. Auflage 1916
Der Blinde
Wer sagt es mir, ob ich schon lange einsam harre:
Verwalte ich ein Geisterheer als blinder Greis?
Ich sehe nichts. Doch ahne ich des Daseins Starre.
Der Riesen Lockenhaar ist weiß. Ganz klares Eis.
Die Fluten jauchzen nicht zu lauten Wunderdingen,
Denn stummgefroren wähnen sie ihr Grundgeheiß.
Die Gluten prusten nicht aus tausend Wirkungsringen,
Die Nordlichtlandschaft überträumt den hehrsten Traum,
Und alle Dinge fangen an, ihr Lied zu singen.
Die Dinglichkeit ist tot. Das Wort erfüllt den Raum.
In meinem Wesen höre ich das Weltlicht tönen.
Es wiegt sich, fliegt und siegt des Sternes heller Schaum.
Das Wort kann aus der vollen Mutterwurzel dröhnen.
Es singt. Es klingt. Es singt sich selbst. Gebiert die Dichter.
Es wird der Geist sich wieder an das Wert gewöhnen.
Ich bin ein Mensch und fühle alle Glaubenslichter:
Wie gut sie meine helle Seele unterfluten.
Erst fiebern sie. Dann leuchten wir und werden schlichter.
Sie können jetzt in mir das Weihesein vermuten.
Die Sonne hat uns aufgerufen und geboren.
Doch heute sind wir frei. Die Willenslichter bluten.
Wie ist die Sonne hold! In uns hat Gold gegoren.
Sie ist die Herrin! Herren wurden ihre Kinder.
Es ist der Daseinszwang zum Geisterzweck erfroren.
Das Nordlicht ist der Dinge innrer Überwinder.
Die Welt besteht in ihrer tiefsten Majestät.
Ich höre mich und werde witternder und blinder.
Der Ursprung lebt. Hier gibt es nirgends ein Zuspät.
Die Gründlichkeit der Welt verschmäht die Maße,
In denen sich der Hang zur Dinglichkeit verrät.
Der ganze Himmel glüht: die Welt ist seine Straße.
Theodor
Däubler . 1876 - 1934
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