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Theodor Däubler
Das
Sternenkind . 1. Auflage 1916
Schnee
Nun setzt der Schnee sich leicht wie Silberbienen
Sehr stumm auf jedes weggewelkte Blatt.
Da ist auf einmal auch der Mond erschienen,
Er überflügelt die gestirnte Stadt.
Den ersten Schnee erblicken Kinderaugen,
Dann schlafen bald die Kleinen strahlend ein.
Die Jüngsten träumen schon beim lieben Saugen,
Und was sie anweht, lächelt sanft und rein.
Von zarten Mullbehängen hoher Betten
Entflockt und lockert sich nun oft ein Stern,
Dann andre Sterne, die sich hold verketten,
Von solchen Dingern träumt das Kindlein gern.
Ein altes Weib voll Harm und weißen Haaren
Sitzt noch beim Rocken sorgenvoll und spinnt.
Es spinnt sich blind, kann nichts gewahren:
Der Mond ist fort. Obs nun zu schnein beginnt?
Vor grellen Fenstern und Laternen schwirrt es,
Die Silbermücken finden keine Rast.
Nun tönt Geklirr, die Stimme eines Wirtes.
Der erste Schlitten bringt den letzten Gast.
Das wirbelt, schwirbelt finster immer weiter,
Und kühler Schlaf besänftigt das Gemüt.
Auf einmal blicken trübe Träumer heiter,
Ein Schwerentschlummern hat sich ausgemüht.
Der Mond wird nimmer durch die Schleier blicken,
Die Silberblüten sinken viel zu dicht.
Ein Fieberschwacher weiß nicht einzunicken:
Es schneit auf seinen Leib und das Gesicht.
Der Schnee, der Schnee, es fallen kalte Spinnen
Auf eines Alten Bart und Lockenhaar,
Nun schneien selbst des Krankenbettes Linnen,
Den Fiebernden bedeckt sein Eistalar.
Die tiefste Milde legt sich in die Falten
Des Antlitzes: nun ist der Greis erstarrt;
Auch Träume Traumermüdeter erkalten.
Nun friert es gar. Der Schnee wird langsam hart.
Theodor
Däubler . 1876 - 1934
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