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Theodor Däubler
Der
sternenhelle Weg . 2. erweiterte Auflage 1919
An das Sternbild der Fische
In
mein blaues Träumen
Rauscht ein leicht verzücktes Schäumen.
Und dann stehe ich am Meere.
Vor dem Abhang, lang behängt mit Algen:
Eine Brandung! Schwere Wogen balgen
Sich, bereit zum Todessprung ins Leere,
Um den ersten steilen Satz ins Freie.
Schneller Möwen Schreckensschreie
Hör ich um die Felsen gellen,
Wo die aufgebrachten Wellen,
Noch bevor sie laut zerschellen,
Schon beim Sprunge jäh erbleichen:
Und nach unten stürzen bloß noch Leichen.
Weiße Segler kommen rastlos angezogen.
Voll Bestürmung eilig hergetrieben,
Werden sie vom Küstenfels gefährdet!
Wie verwegen sich ein Schiff gebärdet.
Doch es weiß im gut bemeßnen Bogen
Jedes sich durch Klippen vorzuschieben:
Von der Bucht wirds letzte eingesogen.
Ich bin draußen auf dem Riff geblieben.
Große Wolken spendet uns der Westen.
Halbgestaltet rollen sie den Ozean entlang.
Wie Gespenster, noch genarrt vom Sinnendrang,
Klimmen sie verwegen zu Berauschungsfesten.
Hoch empor gestellt, ein Segelrecke,
Reicht den untern Vettern keck die Hand:
Durch den Wirrwarr knüpft der Sturm ein Band.
Und ich selber bleibe noch am gleichen Flecke.
Will der Abend mich mit viola Samt umhüllen?
Fallen dann auf uns die schwarzen Mäntel nieder,
Oder wird die Sonne uns mit Huld erfüllen,
Kehrt die goldne Heiterkeit am Abend wieder?
Geduld! Der Ginster duftet, gibt den Felsen Würzung.
Verweile, meine Seele, mit den hellen Flattersäumen,
Die um Mühlen spielen und mit Segeln schäumen.
Erharre, du, im Geist, die große Sternbestürzung:
Die gleichen Sterne werden kommen, dich erschüttern!
Sie sind dir ungewohnt: die ewig gleichen!
Geschöpfe sehn zu ihnen wie zu ihren Müttern:
Gefaßtsein unter Sternen wirst du nie erreichen.
Sterne, wir sind da! Verantwortlich für euch!
Vielleicht sogar der Welt Bewußtheit überhaupt.
Steht ihr fest durch uns, Gekribbel und Gekreuch?
Sterne sind bestimmt nur groß in einem Haupt.
Die Erde braust dahin, durch Sonnen steht ein Mann.
Der Nordstern packt sein Volk: im Nordschein glüht der Held!
Das Weib bestimmt, wie es dem Manne folgen kann:
Im Menschen keime Geist, durchseligt blühe, Welt!
Sterne: eure Völker! Europa ist erschöpft!
Sie kommen nicht von Osten, im Norden rast die See!
Ist Perseus wieder nah, der die Gorgona köpft?
Andromeda vergeht in altem Sternenweh.
Milchstraße, Niagara letzter Ewigkeit,
Versprechen tiefsten Flutens aus der Sterne Blut.
Unterschwemmung, Überglutung aller Zeit,
Entsprudle Mündern: unser Stern ist gut.
Fische, himmlische Smaragde, glüht verzückt empor:
Den Sänger Orpheus mit der Leier bringt zur Welt.
Der Flut entspring er wie der Nacht das Meteor:
Er sei bei Tieren plötzlich unter uns gesellt.
Bei freiem Sternenklang erreicht uns Orpheus' Sang.
Die Milchstraße und alte Quellen ruft er auf.
Das Stürmen ruht, es plätschert kaum der Welle Gang:
Und Ewigkeit bricht ein, erstarrt der Zeiten Lauf!
Gestirnte Tiere springen immer übers Meer:
In Sehern wird ihr ungestümes Wesen zahm.
Ein auferlegtes Sternwerk drückt die Rassen schwer:
Ihr wißt vom Stier, auf dem Europa volkwärts kam.
Viel später, doch nicht fern davon, am Hellespont,
Drang Phrixos auf gestirntem Widder bei uns ein.
Die Fische zucken nun empor am Horizont:
Ihr Sternendasein will sich Völkerseelen weihn.
Der Stimme Offenbarung durchs Geschlecht im Stier,
Das Schlachtopfer der hundert Rinder ist dahin.
Propheten riefen damals nach dem nächsten Tier.
Der Widder kam: das Lamm ward neuer Urbeginn.
Nun sprüht die Ewigkeit aus stummen Fischen vor.
Doch die Musik der andern Wiesen klingt uns hold.
So höre fein in stiller Zeit den Schwesternchor
Der feinen Seelen, die wir orphisch aufgerollt.
Der Lärm der Dinge dringt zu uns: er werde stumm!
Besänftigt ihn! Den Ruf vom Stier erfüllt ein Fisch.
Das Lamm versprach sich uns und starb. Man stand herum.
Oder man redete vom Heil um seinen Tisch.
Das Knarren langer Wanderschaften werde laut:
Die Füße hat vom Bild der Fische unser Leib.
Durch Pilgern wird der Stand der Sonnen aufgebaut.
Der Gang der Sterne kündet irdischen Verbleib.
Im Tal über den Fischerdörfern rauschen hohe Bäume:
Die Häuser mit den spitzen Giebeln scheinen mir zu beten.
Ich wag es nicht, an fromme Schläfer laut heranzutreten:
Mein helles Sinnen liebt verzückt Gestirne, Sturm und Schäume.
Wie hoch die Wogen gehn, die Böen türmen sich nach Norden.
Als weise Könige ziehn auch die Sterne zum Zenit:
Sie wollen einen tief versprochnen Wunderstern erspähen.
Doch wo? Ist aus dem Walfisch her die Botschaft uns geworden?
Noch tiefer im Kentauer? Wo Antinous jetzt kniet?
Im Schoß der Cassiopeja? Sterne werden ihn bald sehen!
Doch auch in uns ward neue Not ums hohe Wunder wach.
Die Menschen führen Kriege, suchen selbst ihr Ungemach,
Um sich nicht, wartend, eignen Glühens zu erwehren:
Mein Gott im Himmel, laß dein Tal ein beßres Volk gebären!
Vater, gib Europa ein begeistertes Geschlecht!
Eröffne in der Schöpfung der Beseligungen Quellen.
Wir können uns nicht retten: unser Brauch ist ungerecht:
Vater, zeige dich im Volk an unbefleckten Stellen.
Wo sind die Rassen, für ein Morgen siegreich vorgeboren?
O Herr, wie traurig sind wir alle, selbstgequält, drum schlecht.
Ist diese Menschheit, trotz des Heilands Opfertod, verloren?
Mein Jesus, wie begreiflich sind die hohen Himmelslehren:
Wir sollten bloß der Eltern Vorurteile nimmer hören.
Sie fordern das Gewissen, unser Blut für falsche Ehren:
Doch ist die Schuld in uns: wir lassen uns noch fort betören.
Unser Vater, der du bist im Himmel, gib uns Söhne,
Die erst die Eltern wieder lieben, wenn sie es verdienen,
Und trotz dem Vaterfluch, der Mütter Angstgestöhne,
Sich aufraffen aus ihrem Ich, um dich, Herr, zu vernehmen.
Die neue Rasse kommt im Geist, von tiefstem Licht beschienen;
Vor unsern Söhnen wanken wir zurück wie scheue Schemen.
In höchster Not, mein Gott, laß alle Vorfahren beschämen.
Mich selbst, und unsre Eltern, stürz unter Lawinen.
Hinweg mit uns: ich darf die Kraft der Nachkommen nicht lähmen.
Aus Herd und Kirche machte längst dieses Geschlecht Ruinen.
Der neue Mensch mag über allen Völkern stark erscheinen,
Die Kinder offner Länder durch das Wort des Herrn vereinen:
Uns aber laßt über die eignen Traurigkeiten weinen.
Die Fische sind ein blasses Sternenbild.
Es funkelt diamantenklar im Hirn.
Ein leicht bewegtes Wellen in der Seele spiegelt Sterne.
Der stille See in dir gebiert den Wind.
Doch Überraschungsstürze aus der Welt zertürmen,
Erfrieden sich unter den Menschen:
Werden mild
Und lind.
Die Fische sind ein blasses Sternenbild.
Geschicke bleiben drum in Menschenhand:
In unsern Herzen werden die Gestirne glühen.
So frei sind keine in des Schöpfers Rechten.
Wir mußten uns gar lang ums eigne Ich bemühen:
Nun haben wirs. Und es bestürmt uns wild,
Allein zu walten und zugleich für Gott zu fechten,
Und da steht "Er":
Des Tapfern Schild.
Die Sterne sind ein blasses Sternenbild.
Wir singen in der reich gestirnten Nacht:
Gewaltge Herrn, Erklimmer vom Zenit,
Ihr müßt hinab;
Ihr weicht zurück,
Euch durch den Menschen um den Nordstern drehend.
Der Geist, der euch verheißt und sieht,
Ihr Sterne,
Hat in den See der Seele einen Kahn gelegt,
Wie eine junge Mondessichel, schlank und kühn,
Wird er vom schnellsten Gott gelenkt.
Er scheint dir leer, wo du ihn merkst,
Doch spiegelt er sich auch im hellen Grün
Vom See der Seelen.
Den hohen Boten wirst du da gewahr:
Hold wie ein Stern.
Blau umleuchtet unter einer Seelenschar
Beflügelt er, ein Segel oder Traum,
Die Seelenfahrten zwischen Da und Drüben,
Aus dem Schimmel auf zum Himmel;
Von den Sternen in den Leib.
Auch du bist schon in diesem Kahn gewesen:
Du stirbst ja wirklich - urhaft aber nicht.
Der rasche Nachen führt dereinst zur stummen Ewigkeit:
Nicht dich, ein mondhaftes Gebild,
Doch die Gestalten, die ihn fügsam noch besteigen,
Um frei dereinst den See der Seele zu befliegen:
Zum Außersich gewillt,
Zur Friedsamkeit bereit!
Wir werden segelnd jedes Ich besiegen.
Dein Ich sei auch befreit.
Das letzte Ich wird weltgewillt.
Die Fische sind ein blasses Sternenbild.
Theodor
Däubler . 1876 - 1934
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