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Theodor Däubler
Der
sternenhelle Weg . 2. erweiterte Auflage 1919
Die Gasse
I
Flügellahmer Versuch
Es schweift der Mond durch ausgestorbne Gassen,
Es fällt sein Schein bestimmt durch bleiche Scheiben.
Ich möchte nicht in dieser Gasse bleiben,
Ich leid es nicht, daß Häuser stumm erblassen.
Doch was bewegt sich steil auf den Terrassen?
Ich wähne dort das eigenste Betreiben,
Als wollten Kreise leiblich sich beschreiben,
Ich ahne Laute, ohne sie zu fassen.
Es mag sich wohl ein weißer Vogel zeigen,
Fast wie ein Drache trachten aufzusteigen,
Dabei sich aber langsam niederneigen.
Wie scheint mir dieses Mondtier blind und eigen,
Es klopft an Scheiben, unterbricht das Schweigen
Und liegt dann tot in Hainen unter Feigen.
II
Katzen
Es silbern Mondflocken durchs Fenster nieder.
Auf bleichem Teppich spielen weiße Katzen,
Mit silberblauen Augen, Seidentatzen.
Beinah gebrechlich sind die feinen Glieder.
Ich klatsche, lache, schließe meine Lider.
Doch bleibt das nahe Katzenhaschen, Kratzen.
Auf einmal raschelt es in den Matratzen,
Und blasse Kleider gibt der Spiegel wider.
Ich wußte wohl, sie würden lautlos spielen.
Wie sind die Katzen und die Kinder zierlich.
Sie balgen sich auf den beglänzten Dielen.
Das große Kind ist nackt und doch manierlich,
Die Kleinen tragen blaue Mondlichthemden.
Wie mich die Augen und ihr Schmuck befremden.
III
Der Kakadu
Ein Streifen Mondschein fällt durch eine Scheibe
Auf einen weißen Riesenkakadu,
Er krümmte sich vor Stunden schon zur Ruh
Und wälzt nun wirre Träumerei im Leibe.
Erst blaut in ihm der Schreck vor einem Weibe,
Dann folgt im Nu bedrückendes Getu.
Nun kommt der Bub. Der neckt ihn, nickt ihm zu
Und zeigt die Zunge rot ins Traumgetreibe.
Jetzt schlägt der Vogel kreischend einen Reifen
Und blickt der blanken Scheibe in den Schlund.
Dann fängt sein Schreck an schlotternd auszukneifen.
Dann nickt er ein: der Mond spuckt Kirschen aus,
Er neckt ihn, lacht, verrenkt den Mund.
Und kriegt dafür von irgendwo Applaus.
IV
Die Leiche
Der Wandermond erscheint vor einer Leiche.
Er überglimmt die ganze Jungfernbahre,
Er küßt den gelben Mund und streicht die Haare
Und wächst hinan, daß er das Kreuz erreiche.
Wer glaubt, daß Silber langsam weiterschleiche,
Damit es endlich wirklich Den gewahre,
Der kam, daß er das Ende offenbare
Und aller Schreck von Schmerz und Sterben weiche?
Von Jesum kann der Mond nicht viel erfahren.
Vielleicht erhascht er ihn zu Leichenfüßen,
Doch seltsam nur im Lauf von tausend Jahren!
Er möchte ihn durch Kirchenfenster grüßen,
Und er beginnt von Wand zu Wand zu tasten,
Doch bleibt er unbekehrt. Er darf nicht rasten!
V
Stilleben
Das Mondlicht fällt auf eine alte Geige,
Und braun im Schatten lungert eine Laute.
Es ist, als ob ein Zeichen dort ergraute,
Damit sein Winken sich ins Dunkel neige.
Was schweigt und scheint dabei wie Fingerzeige?
Was lauscht und wünscht, daß nichts umher verlaute?
Wenn aber plötzlich doch ein Deut erblaute!
Doch still, daß wenigstens die Geige schweige.
Der Laute Plaudern kann sich stumm belauschen.
Die Geigenlieder dürfen leise blinken:
Der Saiten Perlen werden uns berauschen.
Wie sich die Stimmungen zusammenwinken.
Ein leiser Lichtgriff kann die Stimmen lenken,
Aus Stille uns zu Stille fortversenken.
VI
Die Droschke
Ein Wagen steht vor einer finstern Schänke.
Das viele Mondlicht wird dem Pferd zu schwer.
Die Droschke und die Gassenflucht sind leer:
Oft stampft das Tier, daß seiner wer gedenke.
Es halten diese Mähre halb nur die Gelenke,
Denn an der Deichsel hängt sie immer mehr.
Sie baumelt mit dem Kopfe hin und her,
Daß sie zum Warten sich zusammenrenke.
Aus ihrem Traume scheucht sie das Gezanke
Und oft das geile Lachen aus der Schänke.
Da macht sie einen Schritt, zur Fahrt bereit.
Dann meint sie schlafhaft, daß sie heimwärtslenke,
Und hängt sich an sich selbst aus Schläfrigkeit,
Noch einmal poltern da die Droschkenbänke.
Theodor
Däubler . 1876 - 1934
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