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Theodor Däubler
Der
sternenhelle Weg . 2. erweiterte Auflage 1919
Zauber
Der Geist wird die Belebung des Lagunensumpfes:
Der Menschen Regsamkeit wirft seine Wellen auf.
Vom Gondolier das Ruderflügeln ist kein stumpfes
Zerfahren der Gewässer. Großer Schleppenlauf,
Beschäumt mit Edelfunken, brandet vor Palästen :
Versonnte Schleier flocken von den Steinbalkonen,
Gefüllt mit Dogen und erstaunten Schicksalsgästen:
In den Gemächern müssen Ungekannte wohnen.
Die Marmorranken tragen den Gesang des Schaumes
Empor zu Bräuten, die ein Klagen herberief.
Befiel dich nie die Schwermut dieses Sonnentraumes?
Ein Wissen, wie der Morgen hinter Sonnen schlief.
Balkongestalten drängen sich vor Blutbehängen
Der Fenster. Das alte Rot! Ob es ein Rätsel barg?
Die vollen Gondeln kreuzen sich auf Schimmergängen
Sie pfeilen traumverzückt. Und sind der Sarg.
In den Kanälen schwankte nachts die Tasso-Klage:
Des Dichters Wehruf gaben Gondoliere kund.
Die Stadt erstarrte. Wurde eine Marmorsage.
Den Mond erzählte ein verborgner Fabelmund.
Die Sternennächte tigerten Venedigs Himmel,
Wenn eine Stimme ihren stillen Samt beschwor.
Erklagt, entstürzte vollmondnachts der Silberschimmel,
Auf hohem Bogen, einem großen Abendtor.
Das Perlentier mit seiner Tränenmähne ist verschwunden,
Doch unaufhörlich klagte Tassos Sprache an.
Auch der Versuch mit Sternen wurde fort verwunden :
Die Flucht der Milchstraße beim Klagesang begann!
Des Gondolieres Strophe hat den Tod gerufen.
Aus Särgen rief der Dichter die Ruinen auf.
Es standen Mondbeflissene auf Marmorstufen
Und lenkten im Morast des Wassers letzten Lauf.
Vor einem Fenster in Venedig schaukeln Särge,
Auf dem Balkone zeigt sich neumondnachts die Braut.
Im Keller ist die Münze. Lichter flackern. Zwerge
Durchschatten einen Gang. Sie hämmern lang und laut.
Die Braut umdichtet sich mit einem Flimmerschleier.
Sowie sie oben ist, erstirbt ein letzter Schrei.
Die Nacht beruhigt sich zu ihrer stummsten Feier.
Auf einmal nichts. Wer war dabei?
Der rote Vorhang fängt lebendig an zu beben.
Wo ist die Braut? Im Haus die Stuben scheinen leer.
Der Vorhang wurde still! Du siehst ein Tier entschweben,
Vom Fenster aus: den Sternen zu und übers Meer.
Die Särge tanzen vor dem Fenster im Kanale.
Die Silberwoge zittert klagend bald vorbei.
Der Vorhang schimmert. Drinnen geht man oft zum Mahle,
Wann kommt die Braut? Auf einmal hörst du einen Schrei.
Die Gondoliere schenken der Lagune Wellen:
Aus Menschenhand empfängt das Wasser seinen Schaum.
Die Ruder flügeln wie die himmelnden Libellen,
Und wo sie tauchen, knospt ein Schimmersaum.
Auf marmornem Balkone strahlen Morgenkinder.
Ein goldner Tag hält sie mit blauer Hand umhaucht.
Die Gondeln schweben durch die Sternenschleier linder,
Wenn unsre Friedensstunde aus dem Meere taucht.
Die Möwen mögen um die Marmorschlösser fliegen.
Ein schwarzer Gondelkranz umplätschert den Palast.
Die Güte alter Stuben wird den Schwarm besiegen:
Im Brunnenhofe weilt ein ungeahnter Gast.
Die Tauben sehn ihn wohl und sind darum geblieben.
Aus blauem Schattenwogen schäumen sie empor,
Sie scheinen ein Geheimsein weihevoll zu lieben:
Das Bild der Anmut schimmert durch das Marmortor.
Theodor
Däubler . 1876 - 1934
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