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Theodor Däubler
Die
Treppe zum Nordlicht . 1. Auflage 1920
I
Des Meeres Wellenstufen klimmen bis vor meine Treppen.
Vor einem Traum aus Marmor schlummern sie verrauschend ein.
Mein Feuerleu behütet brüllend die umschäumte Schwelle:
Es wagt sich keine Wasserschlange in den Schlaf herein.
Die Stufen führen himmelauf, an fettem Land vorbei:
Dort ruft gestirnt ein Stier im Schein vom Morgenstern mir zu.
Ich nick ihm traut, und meine Sehnsucht grüßen Lichtnarzissen.
Die Blüten wellen sich heran, und wieder ruft der Stier.
Ich freu mich, seh: und gleich erblüht die goldne Morgenröte.
Ich denk an Markus, Lukas, und es fällt das Kreuz mir ein:
Da merk ich allerkleinste Blumen, wie auf Wallfahrt, ziehen.
In frommen Reihen kommen sie zum mondgehörnten Tier.
Sie wandeln nicht. Die winzigsten beglimmt ihr Weiheschein.
Doch wachsen immer andre auf, erwachen nah zum Stier.
So wird ihr Wallen offenbar. Das Pulsen kennt mein Herz!
Da brennt der Tageskelch empor. Ich habe ihn geträumt.
Wie wahr ist das Gedicht: im Morgenrot sein Morgenstern.
Nun schreite ich entzückt drei Stufen, wie geführt, empor.
Der Sonne eil ich zu, denn sie erstrahlt so hoch wie ich.
Und vor dem Antlitz steigt ein Himmel wolkenlos hinan.
Ein Mensch erscheint mir jetzt in seinem Zelt auf höhern Stufen.
Die weißen Wände schlug er sanft zurück und blickt ins Licht.
Der mag wohl gleich ein Riese sein, beschließt er aufzustehn.
Doch hockt er fort, noch halb im Zelt, und winkt nach Vögeln.
Die wolken nun in Schwärmen weiß heran, und eine Taube,
Mit ihrer Botschaft aus der Seele, fächelt um das Ohr
Des Menschen, der sich jetzt über die flüggen Tiere aufrichtet,
Als müßt er segnen: Fruchtbarkeit im Meer, vom Land, verkünden
Und des Menschen Obhut Tiere, Pflanzen anvertrauen.
Des Zeltes Wände wachsen mit und wandeln sich zu Wasser.
Zu einer Traufe. Und der milde Mann steht unter ihr:
Auf meiner Treppe hochgereckt, noch steil zwischen den Vögeln!
Die Fluten stürzen reißend über meine Marmortreppen.
Das Meer tritt aus: bedroht das Land um den gestirnten Stier.
Doch wieder brüllt der Feuerleu dem Sturm und Sturz entgegen:
Und über mir zerreißt ein Aar in raschem Flug den Regen.
Der Wassermann schwebt engelsbleich dahin auf goldnen Wolken:
Ein Regenbogen wölbt sich klar als Tor über die Treppe.
Ich kann nicht steigen, fände ich dort oben auch die Sterne!
Der milde Mann hat lächelnd mich ans Meer zu Tal gewiesen:
Noch seh ich ihn, nachdem er fort, als Wächter und als Riesen.
Wo ist der Aar? Ich werde hoch von ihm getragen
Und stehe doch auf meiner Treppe festgebannt.
Ich kann aus mir der Welt Begeisterung erwagen:
Den Samen meines Wesens streu ich übers Land.
Im Flug.
Noch steh ich auf der Treppe, und mich zwingt der Stier.
"Wir werden gut", gelob ich ihm: "zu Baum und Tier."
Die Kehle läßt die Herzenslerche frei ans Licht,
Da sie dem Menschen jüngste Schönheit hold verspricht.
Durch den Gesang.
Die Füße stehen fest auf meiner Marmortreppe:
Ich weiß, wie ich Gestirne bis zum Meere schleppe!
Und ich erkühne mich zur Frage an die See:
Durch Wonne gibt sie Antwort mir. Im Weh!
Beim Segeln.
Verscheuche, Feuerleu, im Herzen das Bedenken.
Ich will mich guten Sternen, bösen Menschen schenken.
Mit meiner Treppe mag ich mich in Fluten senken:
Die Schiffe sicher zu geträumter Heimat lenken.
Durch unsre Freiheit.
Der Aar verschwand. Die Sonne hält den Stier verhüllt.
Wo ist das engelhafte Menschenbild?
Hinweg! Verloren im Hinweg der Wolken.
Und auch der Stier ganz fort. Kein Lauern, ob er brüllt!
Doch eines bleibt in mir: das lebhafte Gewitter.
Mein Feuerleu, dir bin ich treu!
Der Sonne brenn ich zu: dir, Sonne, als dein Ritter.
Wohl fühle ich die Treppe unter mir, das Tor der Farben ist noch nicht vergangen.
Bekenn ich mich? Der Bau aus Traum wird angefangen!
Und den Beschluß, den Herzenssprung, vom Herz den Sprung,
Vollbrachte kühn der Feuerleu!
Das war aus meinem Schlaf ein Schwung:
Ganz wach bin ich. Der Löwe weckte mich.
Doch vor der Schwelle wacht er treu!
Die Marmorbrüche in der Seele reiß ich auf.
Die Farben meiner Traumbesinnungen sind da:
Ich kann auch wach durch holdgeträumte Hallen wandeln.
Vor allen halt ich meine Treppenflucht:
Der Furcht in meinem Wesen bleibt sie nah.
Heil, Markuslöwe, Du Beflügelter,
Ich pflanze neben dich meine Standarte,
Schon weht sie gelb im Sonnenlicht:
Ich freue mich auf kühngedachter Warte.
Venedig, werde warm und stark in meinem Schauen.
Ich raube dir ein Haus, das eigne Werk zu bauen.
Venedig, meine Marmortreppe nimm zum Dank:
Zertrümmre sie, schaff tausend draus, die Flut entlang.
Es werden über diese Stufen Paare schreiten:
Venedig loben; mein gedenkend, froh erfahren,
Daß jüngste Heiterkeiten ihren Gang begleiten,
Wenn sich um Marmortreppen bunte Fahrten scharen.
Bloß die von oben kommen, sollen Gondeln finden:
Wer eigne Stiegen baut, darf einmal niedersteigen.
Ihr Einsamen erscheint, Halt innigst zu empfinden:
Es schwanken Säulen nie, die bei den Wellen schweigen.
Die neue Treppe habt ihr nun: ich bau mein Haus!
Vor offnen Marmorpforten droht der Feuerleu.
Die großen Hallen füllen Wind-, Meer-, Weltgebraus.
Hier wacht ein Leu. Kein Hund macht Haderlumpen scheu.
Es speisen lauter Masken an verschiednen Tischen.
Bald gibt es allgemeinsten, ausgelaßnen Ball.
Es darf jeder Erglühende sich frei erfrischen:
Zu großer Freude schmettert uns Trompetenschall.
Bei Morgensonne tummeln sich die Faschingsreigen.
Es fehlt bloß der Pierrot, aus lila Mondesland.
Ein Harlekin sprang zu, sein buntes Kleid zu zeigen:
Der Regenbogentür entschlüpfte er gewandt.
Zigeuner tauchten auf mit ihren vielen Geigen.
Jetzt treten Spanier ein: und da beginnt der Tanz.
Die Kastagnette taktet durchs Sichwippen, -Neigen.
Ein Tamburellenbraus erfaßt uns jäh und ganz.
Sogar die leichten Schatten jeder Marmorsäule
Enthuschen ihrem kühlen Platz und hopsen mit.
Als Dominos gespenstern sie durch Maskenknäule,
Oft wie vermummte Gecken mit frivolem Schritt.
Des Papstes Abgesandte tragen Purpurschleppen,
Ein Brillenlärvchen und den Schnurrbart zugestutzt.
Sie suchen sich mein Schätzchen, stehn auf allen Treppen.
Doch macht mit derbem Spaß mein Mäuschen sie verdutzt.
"O goldne Colombine, holdeste Blondine,
Jetzt kommst du viel zu spät, vergeben bin ich schon!"
Brighella grinst, der Koch, gebeugt aus der Gardine:
Wo wäre Pantalone? träfe mich der Hohn?
In meinem eignen Haus, gebaut zu süßem Traume,
Gebührt mir Colombine, traut und heiß, als Braut!
Sie blinzelt, lacht vorbei: ich faß ihr Kleid am Saume.
Sie hopst mir um den Hals. Ihr Ritter poltert laut.
"Ihr Ritter, hört, ich heiße Colombinens Retter!
Ihr seid ein Bauer wohl?" "Nein," sagt er: "Euer Gast!"
"Mit dem kann ich mich schlagen! Hier, mein Freund, ein Vetter
Sind Zeugen mir. Wo deine? Rasch zum Schwert gefaßt!"
Das Liebchen, das ich früher schätzte, läuft verlegen,
Dann bleich, beschämt über die Treppen weg.
Ein Blick von mir ihr nach! Doch auch auf gleichen Wegen
Noch hurtiger die Päpstlinge als sie vor Schreck.
Die Ritter und ich selber ziehn vom Leder.
Die Masken scheuchts zur Treppe: Colombine mit!
Zum Wasser nicht, wie Wasser stürzt, verschwindet jeder.
Mir selbst verschwimmt der Gegner: ists, als ob er glitt.
Ich halte ein. Ich hatte ihn bereits verwundet!
Die Gäste weg: den Nebenbuhler holt der Tod.
Den Degen fort, da er die Untat rot bekundet!
Allein im gelben Mittag! Bloß ist alles: rot.
Bum! Kanonendonner grüßt vom Meer den Flügellöwen!
Bum! Es kommen fremde Flotten in Venedig an.
Bum! Der Donner scheucht sich Tauben auf und laute Möwen.
Bum! Wer weiß, ob ich auf eigner Stiege fliehen kann?
Der Tote hier, sonst nichts! Ein Glück, daß ich nicht schreie:
Im Trubel komm ich durch, da alles seewärts gafft.
Mir ists, als schwellten Stufen selber mich ins Freie:
Die Flucht gelingt, verläßt mich nicht zuletzt die Kraft.
Ich schlängle mich wohl glatt durch feindliche Gesichter!
Wenn mein Instinkt nur richtig diese Reise wählt!
Fast riefe ich: "Franzosen, rettet einen Dichter!"
Warum? Man hat im eignen Land mich wild gequält.
"Hallo!" Ein Frankenschiff, voll Gäste und voll Waren!
Es scheint mir für die Fahrt nach der Provence bereit.
"Herab den Steg aus Strick: und laßt mich mit euch fahren!"
Ich bin an Bord. "Heil, Frankreich dir!" In Sicherheit.
Das ist das schnellste Schiff. Nur fort: ich kann entkommen!
Vor Anker liegt Ägyptens Flotte.
Bestückte Schiffe sandte die Türkei.
Ich hab des Frankenseglers höchsten Mast erklommen:
Wir fahren an den andern unscheinbar vorbei.
Die Wellen stufen sich uns gischtend zwar entgegen,
Doch wir sind klug. Ich komme, sicher segelnd, aus.
Noch schaun wir lang Venedig auf den Wasserwegen.
Nun, ich verlaß es jetzt: schon wird das Schiff mein Haus.
Wir grüßen froh die freundlichen, die fremden Flotten:
Ägyptens grauen Kapitän mit schwarzen Rotten.
Wie finster solche Schiffe sind. Venedigs Gruß damasten:
Die offnen Fenster hat man köstlich rot bezogen!
Dort weht der Halbmond freundlicher von Türkenmasten.
Das Admiralschiff schaukelt gelb auf hellen Wogen.
Venedigs Zinnen gaukeln goldhaft in den Äther:
Sein Hafen mag genau alle Geschwader fassen:
Man kann die Stadt, zu allen Völkern hin, verlassen.
Jetzt gehts nach Frankreich! Nach dem holden Osten? Später.
Venedig wird in Schleiern mir zerblinken.
Nun taucht ein hohes Schiff allein: ein Inder, auf.
Ich möchte hin. Ach, ließ man hier die Anker sinken!
Ein Schwarm von Vögeln, Fische folgen seinem Lauf.
Theodor
Däubler . 1876 - 1934
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